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50 km Einladungslauf Osnabrück - Rieste am 07.09.2013
 

Ein Fünfziger zum Fünfzigsten

 

Schon seit Jahren machen die Bramscher Rumläufer aus dem Norden Osnabrücks auf nationalen und internationalen Laufveranstaltungen durch gute Leistungen und nette Laufberichte auf sich aufmerksam. Einer der Protagonisten ist Eckhard Herwig, vor dem der Zahn der Zeit erstaunlicherweise auch nicht Halt macht. Kurz gesagt, auch ihn ereilt das Schicksal, im zarten Alter von 50 Jahren die Lebensmitte erreicht zu haben und was liegt näher, als diesen sportlich zu begehen? So lud er eine Reihe von Lauffreunden ein, ihn pro Lebensjahr einen km bei einem Gruppenlauf zu begleiten. Über seine Einladung habe ich mich sehr gefreut und da wir läuferisch aus dieser Ecke üblicherweise so viel nicht hören und sehen, habe ich den Fotoapparat eingesteckt und auch ein paar Zeilen zu Papier gebracht.

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Um 8.00 Uhr treffe ich in nach dreistündiger Fahrt plus halbstündiger Frühstückspause beim Fastfood-Laden meines Vertrauens an seinem Wohnort Rieste, einem staatlich anerkannten Erholungsort (ist Laufen nicht pure Erholung?) mit rund 3.200 Einwohnern, ein. Etliche Mitläufer sind schon gestern, teils mit Familie, eingetroffen, darunter Jörg aus Thüringen, den ich wie Eckhard und Udo aus der Nähe von Augsburg, schon lange nicht mehr gesehen habe. Kraxi, den ultraschnellern Vielläufer aus der Steiermark, lerne ich erstmals persönlich kennen. Ebenso wie die Herwigsche Gastfreundschaft, ein zweites Frühstück muß sein.

Ecki stattet uns mit einheitlichen Geburtstagslaufshirts, grafisch von seiner Tochter gestaltet, aus. Die wenige Gehminuten entfernt fahrende Nordwestbahn bringt uns in einer knappen halben Stunde zum Osnabrücker Altstadtbahnhof, von wo um 9.30 Uhr der schweißtreibende Anteil der Geburtstagsfeier zurück nach Rieste startet. Um Rückfahrkarten hatten wir leider vergebens gebettelt. Für diejenigen, die sich die 50 km nicht komplett zutrauen, bietet er unterwegs verschiedene Ein- und Ausstiegsoptionen an, so daß auch Abschnitte von ca. 21 km, 33 km oder 38 km möglich sind. Auch dies wird reichlich genutzt, auf die sieben Ultras kommt mindestens die gleiche Zahl Etappenläufer.
 

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Als Oberzentrum einer Region mit heute rund 1,2 Millionen Einwohnern spielt Osnabrück mit seinen 158.000 Einwohnern seit jeher eine führende Rolle. Ihre Existenz verdankt die Stadt einer weitblickenden Standortentscheidung Kaiser Karls des Großen vor mehr als 1.200 Jahren, denn er gründete 780 einen Bischofssitz an einem Knotenpunkt alter Handelsstraßen. Bis heute kreuzen sich hier die Wege von Skandinavien nach Westeuropa und von den Niederlanden nach Osteuropa. Das Ringen um das Ende des Dreißigjährigen Krieges und der Friedensschluss von 1648 überstrahlen aus historischer Sicht alle geschichtlichen Ereignisse in Osnabrück. Dabei passierte eine ganze Menge in der Stadt, die im 14. Jahrhundert Mitglied der Hanse war, im 19. Jahrhundert erst unter französische Herrschaft geriet, dann zum Königreich Hannover gehörte und schließlich zum Königreich Preußen kam.

Und auch von den Auswirkungen der beiden Weltkriege blieb die Stadt nicht verschont: Zu 85 Prozent war beispielsweise die Innenstadt durch die Luftangriffe zwischen 1939 und 1945 zerstört, und es bedurfte gehöriger Anstrengungen, Osnabrück wieder aufzubauen. Von den bedeutenden historischen Persönlichkeiten, die in Osnabrück gelebt und gewirkt haben, ist wahrscheinlich der Schriftsteller Erich Maria Remarque („Im Westen nichts Neues“ – wer dieses Anti-Kriegsbuch nicht kennt, sollte es lesen) am bekanntesten. 

Schon bald laufen wir durch den Osnabrücker Bürgerpark, der ganz nach örtlichem Joggerparadies aussieht. Unterhalb des angrenzenden Gertrudenberg gibt es, von der Öffentlichkeit weitestgehend unbeachtet, die Gertrudenberger Höhlen. Verschiedene Mythen ranken sich um das verzweigte und ca. 900 m lange Tunnelsystem, das bereits im 14. Jahrhundert durch einen Steinbruch entstanden ist. Im Zweiten Weltkrieg wurde der unterirdische Komplex als Luftschutzbunker genutzt, in dem mehrere tausend Personen Platz fanden. Leider können wir sie während unseres Laufs nicht besichtigen.
 

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Vorbei an einem privat getragenen Eissportcenter kommen wir schon bald zum ersten Mal an den Verpflegungsbus. Ganz toll: Jeder hat einen Mehrwegbecher, der mit seinem Namen versehen ist. Und die Versorgung ist vom Feinsten, da bleibt kein Wunsch offen. Alle fünf bis sieben km dürfen wir diesen Service in Anspruch nehmen und freuen uns von Mal zu Mal mehr darauf. Vorbei an z.T. sehr schönen Aussiedlerhöfen geht es durch das Nettetal hinaus aus der Stadt. Ein ganz besonderer Augenschmaus ist die alte Wassermühle am Gasthaus Knollmeyer. Leider fängt es letztlich doch zu regnen an, die Wettervorhersage hat bedauerlicherweise mal recht. Doppelt bedauerlich: Fast bis zum Schluß wird uns der himmlische Segen ein treuer Begleiter sein.
 

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Nach einer weiteren Verpflegung am „Dicken Stein“, wo einige Etappenläufer dazustoßen, 17 km kommen wir durch die Kalkrieser Senke. Kalkriese – da war doch was? Richtig, der alte Hermann und die Varusschlacht. Die Römer waren seinerzeit bemüht, auch die rechtsrheinischen Gebiete Germaniens zu einem Teil ihres Reichs zu machen, was nicht auf ungeteilte Begeisterung bei den zu Unterjochenden stieß. Ausgedehnte Erkundungszüge, Teileroberungen und Verbündetensuchen ab dem Jahr 12 v. Chr. erregten bei ihnen nachhaltiges Mißfallen.

Damals wie auch heute noch brachte ein besonders perfider Umstand das Faß zum Überlaufen: Ein neues Steuerrecht wurde eingeführt, schon weiland mit wenig Fingerspitzengefühl. Arminius, Fürstensohn des germanischen Cheruskerstammes, der seine Kindheit und Jugend in Rom verbracht hatte und sogar in den römischen Ritterstand erhoben worden war, wandte sich, nach Germanien zurückgekehrt, gegen die römische Oberherrschaft.

Er bewegte mehrere Stämme zur Bildung eines Bündnisses und konnte ihnen kraft seiner Ausbildung die Schwächen römischer Kriegsführung vermitteln. Parallel blieb er aber weiter Tischgenosse des römischen Statthalters, Quintilius Varus, betrieb also ein klassisches Doppelspiel. Auf der Rückkehr in deren Winterquartier am Rhein veranlasste er Varus mit dreien seiner Legionen aufgrund eines fingierten Berichtes über einen kleinen regionalen Aufstand zu einem Umweg über ihnen unbekanntes Terrain.
 

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In unübersichtlichem und schwierigem Gelände gingen Arminius und seine Verschwörer voraus, angeblich um Verbündete heranzuführen. Der weitermarschierende Varus geriet dabei in einen von Arminius sorgfältig geplanten Hinterhalt. Von allen Seiten fielen die Germanen über die bis zu 20.000 Soldaten mit ihren 5.000 Zugtieren her und töteten fast alle, wobei ihnen die lange Zugordnung der Römer (15 – 20 km!) gemeinsam mit dem unwegsamen Gelände entscheidend zu Hilfe kamen.

Kaiser Augustus soll angesichts des Verlusts eines Achtels seiner gesamten Streitmacht in Rom gerufen haben: „Quintilius Varus, gib mir meine Legionen wieder!“ Aber genutzt hat dem alten Hermann sein Sieg letztlich nicht nachhaltig, denn nach internen Zwistigkeiten haben ihn eigene Verwandte kurzerhand abgemurkst. Über den genauen Ort der Schlacht wird heftig diskutiert, „unser“ Kalkriese ist derzeit Favorit.
 

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Doch jetzt genug des Selbstplagiats von meiner Teilnahme am Hermannslauf. Über eine  Brücke überqueren wir den Nord-/Ostsee-Kanal, um diesem am gegenüberliegenden Ufer eine Weile zu folgen. Mist, der Uferweg ist gesperrt, aber echte Helden hält das nicht auf. Alle quetschen sich am Absperrgitter vorbei und können so auf dem Pfad der Tugend bleiben. Der weiter zunehmende Regen trägt zwar nicht unbedingt zur Erheiterung bei, aber die Stimmung ist auch so gut. Überrascht bin ich, ehrlich gesagt, vom Tempo, das vom Geburtstagskind vorgelegt wird. Sicher, er hatte gesagt, im Sechserschnitt laufen zu wollen, aber so richtig ernst genommen hatte ich das nicht. Er läuft diesen Schnitt gnadenlos. Ja klar, er ist ein Controller, da gilt es, auch eigene Zielvorgaben einzuhalten. Unbekannt ist mir das nicht, bin ja schließlich selbst einer.
 

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Eine wunderschöne Aktion folgt bei km 42,195. OK, ich habe sie mir bei R(du)olf Mahlburg und seinen Erlebnisläufen abgeschaut, aber ich liebe sie, denn sie ist würdig und macht allen Freude: Die Ultrataufe. Zwei des harten Kerns, Carsten und Bertram, laufen heute ihren ersten Ultra, und das muß gefeiert werden. Also wird Spalier gestanden, das die beiden Delinquenten zu durchlaufen haben, und kräftig gejubelt, als die Ultranovizen in den Kreis der Weiter-als-42,195 km-Läufer aufgenommen werden.
 

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Die letzte Herausforderung wartet dann als eine etwa 7 km-Runde Runde um den 2,2 km² großen Alfsee (offizielle Bezeichnung: Hochwasserrückhaltebecken Alfhausen-Rieste) (Alf!). Zwölf Jahre war an dem Hochwasserrückhaltebecken seit 1970 gebaut worden, um die ständigen Überschwemmungen in den Griff zu bekommen. Hiervon ist heute allerdings nicht im Ansatz etwas zu sehen. Das, was uns als See verkauft wird, ähnelt mehr einem Sumpfgelände. Darauf ein paar Flamingos und man fühlte sich wie in der Camargue in Südfrongreisch. Offensichtlich gibt es ab und an aber schon ein paar Liter Wasser, denn Eckhards Heimatdorf ist auf diese Weise sogar noch zu einem Ferienpark mit mehreren Campingplätzen und Hotels gekommen.

Ich fühle mich an der Nordsee, genau so sieht der Deich aus, Schafe sind auch da. Nicht da ist der See, denn in dem Becken sieht man mehr Schlamm als Wasser. Vielleicht haben wir einfach eine schlechte Jahreszeit erwischt.

Auf den letzten beiden km muß ich schon etwas beißen, um dranzubleiben, aber zum Glück warten die ersten auf die Nachzügler und gemeinsam legen wir die finalen Meter bis vor das schmucke Herwigsche Eigenheim zurück. Dort wartet nach exakt fünf Stunden reiner Laufzeit bereits die erste Kiste des lebenserhaltenden Getränks aus Erding auf uns, ich leiste bei den Nordlichtern etwas Entwicklungshilfe beim Einschenken, und dann – zisch! Aaaah, eine Wohltat! Das Leben ist schön!
 

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Nach dem Duschen zeigt sich doch tatsächlich die Sonne noch ein wenig und bei angenehmen Temperaturen läßt es sich im Garten hervorragend regenerieren. Eckis selbstloser Nachbar grillt eine Lage Steaks und original Thüringer (die Jörg aus seiner Heimat mitgebracht hat) nach der anderen, die wir mit leckerem Nudel- und Kartoffelsalat verdrücken. Gut, daß ich heute weder Vegetarier, geschweige denn Veganer bin, obwohl sich mein Fleischkonsum in den letzten Jahren erheblich reduziert hat. In Anbetracht der im besten Falle dreistündigen Rückfahrt breche ich um 19.30 Uhr auf und bin, vom Heimatsender WDR 2 bestens unterhalten, um 22.30 Uhr wieder wohlbehalten zuhause.

Danke, lieber Eckhard, für diesen wunderschönen Tag!
 

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