Eine Stunde vor dem Start, der um 8 Uhr erfolgen wird, stehe ich an der Strecke, und zwar am östlichsten Punkt des Kurses, der, von einer kleinen Zusatzrunde am Anfang abgesehen, dreimal zu durchmessen sein wird. Hier stehen schon die Kollegen von BBC, Channel 4, die quasi rund um die Uhr von den Paralympics berichten. Für Deutschland kann ich mir so eine geballte Medienpräsenz nicht vorstellen. Lange habe ich überlegt, ob ich vielleicht doch im Pressewagen vor den Führenden mitfahren soll, aber als laufender Reporter ist man ein Mann der Straße, der das ganze Elend sehen will und nicht nur die absolute Spitze. Ich entscheide mich zunächst, etwas weiter am sog. Monument zu stehen, dort kommen die Brüder mit einer Meile Abstand gleich zweimal vorbei. Ich sitze auf einem Poller und warte. Kein Zuschauer ist zunächst zu sehen, da hätte ich wohl doch frühstücken gehen sollen. Na ja.
Mit dem israelischen Trainer komme ich schnell und lange in ein sehr nettes Gespräch. Kollege Eisenmann ist, oh Wunder, Jude und Nachfahre schlesischer Großeltern, die rechtzeitig den Absprung nach Palästina gefunden haben. Er betreut auch einen Handbiker und ist ganz versessen auf einen bestimmten deutschen Hersteller. Der ist ihm manchmal zu perfekt, etwas weniger Perfektion, vielleicht wie die Amerikaner, und er wäre wirtschaftlich noch erfolgreicher. Wegen dieser Einstellung hätten wir auch übrigens den 2. Weltkrieg verloren, meint er grinsend. Au Backe, auf dieses Thema lasse ich mich mit solch einem Gesprächspartner besser nicht ein. Warum er auf der Rennstrecke steht? Er habe einen Extra-Ausweis für das Betreten der Verpflegungsstelle. „Willst Du einen, ich habe zwei?“ Und schon bin ich mittendrin. Völkerverständigung leicht gemacht.
Um kurz nach halb neun rauscht der Express erstmals an mir vorbei. Die Lichtverhältnisse lassen vorerst leider nur Fotos in bescheidener Qualität zu, aber man kann ein „buntes“ Völkchen mit unterschiedlichsten Einschränkungen erkennen: Gesunde Beine haben alle, teilweise aber nur einen oder einen verkrüppelten Arm, völlig Blinde mit Guide, Läufer mit Restsehstärke mit und ohne Guide, nicht in jedem Fall ist die Behinderung klar zu erkennen. Um die 30 Athleten sind es nur, die hier um die Medaillen kämpfen – keine Mädels! -, alle aber in einer Wertung! Was das soll, und wie man z.B. einen fairen Vergleich zwischen einem Einarmigen, einem Restsehfähigen mit vier abwechselnden Guides und einem vollständig Erblindeten mit nur einem Guide ziehen kann, wird auf ewig das Geheimnis des Internationalen Paralympischen Komitees bleiben.
Egal, meine Helden sind dabei und ich habe einen Kloß im Hals vor Aufregung. „Henry, Joseph, go for Gold!“, schreie ich wie ein Bekloppter, sie erkennen mich, grinsen, recken die Daumen hoch, Klasse! Wow, wann hat man mal einen Kumpel bei solch einem Wahnsinnswettbewerb am Start und darf ihnen so nah sein? Eine Meile später sind sie wieder da und sehen gut aus, liegen bei denen mit Guides in der Spitzengruppe. Ich ziehe weiter zur Stelle mit Individualverpflegung, die genauso aussieht, wie beim olympischen Marathon. Warum auch nicht, es ist ja auch die gleiche Strecke. Soll aber auch heißen: Eine deutsche Flagge ist nicht dabei. Wäre ja auch ein Wunder, wenn das hier anders gewesen wäre als beim „richtigen“ olympischen Marathonlauf. Ein paar Musikgruppen mischen die kleinen Fangruppen ordentlich auf und nach einer guten Stunde sind Henry und Joseph wieder da, sehen immer noch gut aus und freuen sich über die persönliche Ansprache.
|