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Monte Sophia XII am 31.08.2013


Wer bremst, verliert

Das von mir zwischen meinen Marathon- und Ultraläufen im jährlichen Laufzirkus als unangenehm Empfundene sind die unvermeidbaren elend langen Trainingsläufe. Manchmal ist es zwar doch durchaus nett, ich geb’s ja zu, aber ab und an muß ich mir schon selbst in den Hintern treten. Drei oder gar dreieinhalb Stunden durch die Gegend zu traben, ohne daß dabei etwas Zählbares herauskommt, ist nicht unbedingt mein Ding. Als „Allergie gegen lange Läufe ohne Startnummer“ habe ich diese Krankheit mal bezeichnet. Da bin ich doch froh, daß es eine Reihe von „Unterdistanzläufen“ gibt, die man prima als kurzweiligen Trainingslauf machen und am Ende zufrieden mit einer Urkunde heimfahren kann. So auch an diesem Wochenende beim Monte Sophia in einer besonderen Gegend, die viele von Euch nicht kennen werden.

DER Monte Sophia ist ein abwechslungsreicher Landschaftslauf über DIE Monte Sophia. Aus dem Abraum des Braunkohlentagebaus Hambach entstanden, liegt die Sophienhöhe, wie sie auch genannt wird, im Rheinischen Braunkohlerevier zwischen Köln und Aachen, nahe der Stadt Jülich und des Veranstaltungsortes Niederzier. Sie erhebt sich 200 Meter über das umgebende, flache Gelände, ist bewaldet, enthält Feuchtbiotope, ist beliebtes Ausflugsziel mit zahlreichen Wanderwegen und das Trainingsgebiet der Läufer des ausrichtenden TV Huchem-Stammeln. Die 28,1 km des Monte Sophia zeigen die Monte Sophia in ihrer gesamten Ausdehnung und präsentieren ihre Sehenswürdigkeiten.
 

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1974 ging es los. Nicht mit dem Lauf, der kam erst später, sondern mit den Planungen, die ergiebige Menge Braunkohle, die in bis zu 100 m dicken Flözen vorkommt, abzubauen. Sie entstand aus weitflächigen Wäldern und Mooren, die sich in der Niederrheinischen Bucht vor 30 bis vor 5 Mio. Jahren entwickelten und anschließenden langanhaltenden Senkungsbewegungen. Beim Tagebau entfernen gigantische Schaufelradbagger, hier seit 1978, das über der Kohle liegende Material und das sind im Zweifelsfall auch ganze Ortschaften, Straßen und Autobahnen. Das Verhältnis von Abraum zu Kohle beträgt dabei 6,2 : 1. Da auf bereits knapp 4.000 ha (genehmigt sind max. 8.500 ha) gefördert wurde und dabei u.a. mit derzeit 293 m unter Normalnull (!) die tiefste künstliche Senke in NRW entwickelte, mußte der Abraum auch irgendwo gelagert und rekultiviert werden. So entstand mit der Hochkippe Sophienhöhe der größte künstlich angelegte Berg Deutschlands (heute wird der Abraum in die bereits ausgekohlten Teile des Tagebaus verkippt). Auf dem Erdboden ihrer Kuppe (also nicht auf dem dortigen Aussichtsturm) steht man etwa 595 m über dem Grund des Tagebaus.

Der späte Start um 16.30 Uhr ist zwar familienfreundlich, aber durchaus läuferfeindlich, denn so hatte der Held vormittags keine Ausrede, hinsichtlich kommender Anstrengungen das Rasenmähen & Co. zu verweigern. Früh bin ich trotzdem nach knapp anderthalb Stunden Anfahrt da, um u.a. noch ein wenig die Werbetrommel für unseren StaffelMarathon am 3. Oktober rühren, bei dem ich gerne noch ein paar Einzelstarter mehr hätte. Das Kuchenbuffet zu äußerst zivilen Preisen ist zu verlockend, als daß ich die Gelegenheit verpaßt hätte, noch ein paar Kohlenhydrate auf Vorrat zu bunkern. An Mohnkuchen kann ich einfach nicht vorbeigehen.

Etliche liebe Bekannte sind vor Ort. Dirk habe ich schon länger nicht mehr gesehen und Stefan versorgt an seinem kleinen Stand diejenigen, die noch ein Schnäppchen machen wollen oder etwas vergessen haben, wie z.B. der Kollege vom Parkplatz, der es geschafft hat, seine Laufschuhe zuhause zu lassen. Stefan hat auch ein prima Video ins Netz gestellt, anhand dessen man sich gut auf die Strecke vorbereiten kann.
 

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Pünktlich starten rund 230 Läuferinnen und Läufer, welche die ausgeschriebenen +/- 370 Höhenmeter auf dem nierenförmigen Kurs nicht unterschätzen sollten, wie weiland 2004 der Autor, als er, kurz vor seinem Ersteinsatz bei Marathon4you.de noch ohne Fotoapparat und volles Rohr unterwegs, erstmals dieses offensichtlich lächerliche Hügelchen erklomm. Meine Herren Gesangsverein, war ich am Ende nach 2:23 Std. (5:02 min/km) am Ende… Heute wird es, ich bin mittlerweile neun Jahre gereift und mit Fotoauftrag versehen, deutlich ruhiger werden. Ein Trainingslauf für den Fünfziger am kommenden Wochenende eben.

Die ersten beiden km führen noch flach auf Asphalt und Feldwegen zunächst an den Sportanlagen (Startnummernausgabe, Umkleiden, Duschen) vorbei und auf einer Brücke über die L 264 zur Schranke (hier schon erfolgt die erste Verpflegung!), bevor wir, jetzt über einen Naturweg, das eigentliche Haldengelände erreichen. Ich bin überrascht: Die Aufforstung ist schon recht weit entwickelt, die Bäume haben in den letzten Jahren deutlich an Höhe und Umfang zugelegt. Ich bin gespannt, was von der mannigfaltigen Aussicht, die ich in Erinnerung habe, übriggeblieben ist (nicht viel). Überrascht bin ich auch von meinem Tempo. So einen knappen Sechserschnitt hatte ich mir vorgestellt, eine glatte Minute bin ich schneller. Es läuft prima, das Wetter ist mit 20° und einem Wechsel aus Sonne und Wolken optimal, daher lasse ich es erst einmal rollen.
 

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Auf dem dritten km beginnen wir den ersten von zwei ordentlichen Anstiegen, der uns auf gut drei km rund 100 HM nach oben bringen wird. Nach 5,5 km erreichen wir den sog. Wendehammer als ersten „Höhepunkt“ der heutigen Arbeit, zur Belohnung gibt’s zum zweiten Mal Atzung. Hier wäre eine klasse Gelegenheit zur Abkürzung, denn der Rückweg führt exakt an dieser Kreuzung nach 21,5 km wieder vorbei. Nur, eine Laufzeit von einer guten Stunde wird mir im Ziel bedauerlicherweise keiner abkaufen, daher nehme ich dann doch den fünf km langen Abstieg weiter auf der Soll-Strecke. Am siebten km gilt es, alle verfügbaren Bremsen reinzuhauen, denn zwei scharfe Kurven, die jeweils fast eine komplette Richtungsänderung zur Folge haben, sind unfallfrei zu überleben.

Am neunten km befinden wir uns auf der untersten Berme der Monte Sophia, ein Begriff aus u.a. dem Tagebau, den ich bisher noch nie gehört hatte. Er bezeichnet ein horizontales Stück bzw. Absatz in der Böschung an einem Hang und unterteilt sie in zwei oder mehrere Abschnitte, um den Erddruck auf den Fuß der Böschung vermindern. Hast Du in der Schule nichts gelernt, liest Du trailrunning.de. Oder schreibst dafür. Bei km 11 sind wir am äußeren nördlichen Rand der Sophienhöhe und zugleich tiefsten Punkt des gesamten Laufs angekommen. Die dritte Verpflegung bereitet uns auf ein besonderes Schmankerl vor. Klein, aber gemein ist sie, die „Rodelbahn“, ein schöner Trail, der zunächst recht harmlos daherkommt, im oberen Abschnitt die Pumpe aber ganz ordentlich zum Arbeiten bringt. Also umgedreht, die Schnaufer hinter mir geknipst und dabei selber den Puls wieder unauffällig heruntergefahren, so macht man das.
 

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Die km 12 – 14 führen uns über die „Blutstrecke“, benannt nach dem Ausspruch eines Trainingsgastes, der hier nach eigenem Bekunden Blut und Wasser geschwitzt hat. Bibelfesten Lesern sei gesagt: Nein, DER war’s nicht. Für Trinkfeste: Nein, DER auch nicht. Eine ganz andere Bedeutung hat Sabine Fischer auf ihrem diesjährigen Vorbereitungslauf festgestellt, bei dem sie bis zum Römerturm im 5er-Schnitt weitergelaufen ist! Respekt, junge Frau, sage ich, ganz schön flott für ein Training. Mit dem 5er-Schnitt meinte sie jedoch 5 Stiche pro Kilometer! Die Sch… Bremsen bescherten jedem bis obenhin mindestens 15 Stiche, da haut jeder rein, um dem schnellstmöglich zu entkommen. Heute haben wir Glück und kommen „ungebremst“ davon.

Es folgen mehrere weit einsehbare Geraden, wohl denen, die sich in langen, monotonen Läufen die nötige mentale Härte angeeignet haben. Ich sage nur: Hast Du mal einen Dreißiger auf dem heimischen Laufband heruntergerissen, erschüttert Dich so schnell nichts mehr. Die nächste (bereits die vierte!) Verpflegung gibt es nach km 15. Immer weiter bergauf, der Gipfel ist noch lange nicht erreicht, aber im Vergleich zu meinen letzten Abenteuern hinauf zur Zugspitze und auf dem K 78 bei Davos ist das absolut harmlos. Wie immer ist alles im Leben relativ. Nach km 17 fast oben, fehlen doch noch drei weitere bis zum Gipfelglück, denn man schickt uns noch auf eine Schleife, damit wir über eine nette Traileinlage am Jülicher Kopf den zu umrundenden Hinkelstein bewundern können. In dem Halbdunkel des dichten Waldes ist leider kein einziges Foto etwas geworden. Zur Belohnung dürfen wir die Verpflegungsstelle 5 als sechste direkt noch einmal nutzen. Abkürzen ist natürlich verboten!

Nach km 20 ist er dann erreicht, der Aussichtspunkt Römerturm am Steinstraßer Wall. Er stellt den zweiten und absoluten „Höhepunkt“ des Laufs dar. Die Überraschung: Hier steht „Cäsar“ (Stefans Papa Konrad, eine örtliche Lauflegende, der auch jedes km-Schild ziert), ganz leibhaftig, grüßt jeden Läufer mit einem kräftigen „Salve!“ und bietet Träubchen an. „Ave Cäsar, moriturus te salutat!“ (in etwa: Man et joot, Jung, isch joon kabott) stöhnt der Lateiner in mir nach dem langen Aufstieg zurück. Ich muß nicht Weltmeister werden, daher gönne ich mir und Euch die paar Treppenstufen turmauf und werde dafür mit einem schönen Rundumblick und einem feinen Fotomotiv belohnt. In meiner Blödheit vergesse ich den Turm selber zu knipsen. Von hier geht’s, teilweise recht heftig, bergab. Jetzt gilt es: wer bremst, verliert, wie Lauffreundin Sabine Fischer erneut so treffend formulierte.
 

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Das Gipfelkreuz an km 21 liegt tiefer als der Gipfel selber. Verstehen muß ich das nicht, daher lasse ich es im wahrsten Sinn des Wortes links liegen. Rechterhand kündet ein Schild den Mammutwald an, den wir aber nicht betreten. Hier hat man wohl einige Sequoien gepflanzt, aber die in den USA bis zu 3.000 Jahren alten, 100 m hohen und 13 m dicken Kameraden sind hier noch Babys. Der folgende siebte Verpflegungspunkt ist identisch mit dem früheren zweiten (hier war die Möglichkeit zum Besch…). Links vom Kreuzweg ist es explizit verboten sich zu bewegen, denn dort ist Tagebaugelände, das sich noch nicht ausreichend gesetzt hat, außerdem ist dort noch Werksbetrieb.

An km 26, identisch mit km 2, passieren wir wieder die Schranke und werden das letzte Mal unterwegs verköstigt (insgesamt also achtmal auf 28,1 km!). Die letzten paar hundert Meter sind wir erneut auf Asphalt unterwegs, nochmals auf der Brücke über die L 264, dann liegt das Sportgelände vor uns, die Zielmoderation ist schon gut zu hören, ab durch den Zielkanal und es ist nach knappen 2:30 Std. vollbracht. Wie war das noch mit dem beabsichtigten Sechserschnitt? Nun ja, es ist halt gelaufen… Aber das mit dem langen, langsamen Laufen ist schon irre, der selige Dr. van Aaken wußte genau, was er predigte. Die letzten vier Wochen nach Davos war ich nicht weiter als 16 km am Stück gelaufen und das meistens im Sechserschnitt (flach). Und die insgesamt 5:20 min/km bei 370 HM haben mir gar nichts ausgemacht, prima.

Wie erwartet, war es eine sinnvolle Entscheidung, den langen Lauf nach Niederzier zu verlegen. Ich liebe solche „handgestrickten“, nichtkommerziellen Läufe, bleibe noch eine Weile sitzen und lerne so Peter Borsdorff (www.runningforkids.de.vu) kennen. Seit 19 Jahren sammelt er zugunsten benachteiligter Kinder, eine dreiviertel Million Euro hat er seitdem eingenommen und verteilt. Das heutige Schicksal ist besonders anrührend: Da stirbt die junge Mutter an einem Wespenstich, wenn ich es richtig mitbekommen habe. Der Witwer bleibt mit der anderthalbjährigen Tochter zurück. Und mit dem kleinen Oskar, den man ihr in der 25. Schwangerschaftswoche nach dem Tod entnommen hat und der jetzt im Krankenhaus um sein Leben kämpft. Da atmen viele ganz tief durch, sein Sparschuh wird großzügig gefüllt. Danke, Peter, das machst Du gut!

Wie dichtete unser Freund und Poet Udo Lohrengel so schön?

Monte Sophia -
Wo man spürt, daß man noch lebt
und sich über die Kraft der Steigung erhebt.

Schön war’s. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
 

Dieser Bericht ist mit noch mehr Fotos auf trailrunning.de verfügbar.


Startgeld:
10 €

Wettbewerbe:
Neben dem Hauptlauf verschiedene kürzere Lauf- und Walkingstrecken.

Streckenbeschreibung:
Rundkurs über 28,1 km und +/- 370 Höhenmeter, Zeitlimit 3:30 Stunden.

Auszeichnung:
Urkunde

Zeitnahme:
Manuell

Verpflegung:
Achtmal Tee, Wasser und Schwämme unterwegs, am Ende zweimal zusätzlich Obst und Cola.

Rahmenprogramm:
Kleine Läufermesse