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6. Mannheim-Marathon am 09.05.2009


Mannheimer Nächte sind lang

Bald lief ich am Neckar, bald lief ich am Rhein

Wer kennt sie nicht – zumindest unter uns schon gesetzteren Damen und Herren – die Ulknummer der Gebrüder Blattschuß (u.a. mit Jürgen von der Lippe) „Kreuzberger Nächte sind lang“ aus dem Jahre des Heils 1978? Hieran musste ich spontan denken, als ich mich entschied, erstmals einen Marathon am Abend zu laufen. Und weil so schön in die anbrechende Dunkelheit gelaufen wird, nennen die Mannheimer ihren Lauf ganz treffend auch Dämmermarathon.

Ja, falls gelaufen wird, da kann man sich ja in Mannheim nie so ganz sicher sein. So geschehen vor drei Jahren. Da  standen nämlich alle in den Startblöcken parat, als nach einem Unwetter sich der Start zunächst um eine Stunde verschob und schließlich aus Sicherheitsgründen ganz abgeblasen werden mußte. Davon heute glücklicherweise keine Spur.

Ich freue mich auf ein interessantes Novum, denn so spät am Tag bin ich noch nie derart lange gerannt und in die Nacht hineinzulaufen hat bestimmt seinen ganz eigenen Reiz. Die heutige Strecke wird mich zunächst auf einer großen Schleife parallel zum Rhein vom Mannheimer Wasserturm nach Seckenheim im Südosten und zurück führen (dies ist auch der Halbmarathonkurs), danach wird der Rhein überquert und eine große Runde Richtung Südwesten um Ludwigshafen gedreht und wieder am Wasserturm gelandet.

Zum Wettbewerb gehören heute neben Marathon und Halbmarathon auch ein Duo-Marathon für zwei und ein Team-Marathon für vier LäuferInnen, ein Marathon für Inline-Skater sowie ein Marathon für Rollstuhlfahrer und Handbiker. Nach knapp zwei Stunden Anfahrt bin ich vor Ort, habe mich kurzfristig entschieden, es doch zu wagen, mit dem Auto in die Stadt zu fahren und lande einen Volltreffer. Ich finde einen Parkplatz 200 m vom Duschzelt und 400 m von Start/Ziel entfernt. Um 15.56 Uhr bin ich vor Ort und ab 16.00 Uhr ist freies Parken – Bingo.

Im Kongresszentrum Rosengarten hole ich direkt meine Startunterlagen ab und treffe verabredungsgemäß endlich mal wieder den Klaus Duwe, der, seitdem er wieder lauffähig ist, nicht mehr den Griesgram gibt und zu seiner alten Fröhlichkeit zurückgefunden hat. Seine Frau Margot begleitet ihn, und ich bewundere sie um ihre Geduld um das sog. Hobby ihres Mannes, der mit ihr gegen 21 Uhr noch nach Kassel weiterfahren wird. Das ist echte Liebe! Co-Autorin Heike Lamadé treffe ich noch mit Mann und Töchtern. Ihre Tochter Clara wird heute ihren ersten Versuch über die 42 km starten und diesen unter Mamas Begleitung auch mit Bravour bestehen.

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Gegen 17.30 Uhr entschließe ich mich, auf dem top gepflegten Rasen vor dem Wasserturm noch ein wenig Siesta zu machen. Aus einem Augenwinkel erkenne ich sofort mit seinem Guide Henry Wanyoike, den blinden Weltklasseläufer, mehrfachen Paralympicssieger und Weltrekordler über die Wiese schlendern. Ich spritze auf und nutze die Gelegenheit, mich heute schon vorzustellen, denn beide werden mit dem Buchautor Bengt Pflughaupt am Montag, 11.05.2009, um 19 Uhr einen Vortrag bei mir in der Grundschule Waldbreitbach (zwischen Bonn und Koblenz) halten. Ich bin schwer beeindruckt von der unverkrampften und echt wirkenden Fröhlichkeit und Aufgeschlossenheit der beiden.

Gegen 18.15 Uhr stoße ich zu den anderen Marathonis, die Halb-, Team- und Duomarathonläufer/innen, die sich bereits in der Nähe des Wasserturms zum Start eingefunden haben. Diesen hat man nach dem Krieg neben dem Schloß wieder aufgebaut. Schön, daß wenigstens einige alte Gebäude, vor allem außerhalb des Innenstadtkerns, noch oder wieder stehen, denn Mannheim war im Krieg fast total zerstört und gibt auch heute noch, seht es mir nach, Ihr Mannheimer, in der Innenstadt optisch eher wenig her. Die Gegend um den Wasserturm und den Rosengarten dagegen ist klasse. Welch ein Unterschied zu einer Stadt, an welcher der Krieg zum Glück nahezu spurlos vorübergegangen ist, wie z.B. Schwerin, das ich vor Ostern bewundern durfte. Pech für diejenigen, die viel (kriegswichtige) Industrie beheimateten. Ich bin gespannt, wie es heute, 13 Tage nach Bonn, einem halben Arbeitstag und zwei Stunden Anfahrt laufen wird. Unter vier Stunden wäre schön, aber verrückt machen werde ich mich definitiv nicht.

Punkt 18.30 Uhr geht es los durch die Augusta-Anlage. Kaum aus der Stadt heraus erfolgt direkt eine harte mentale Herausforderung. Zu einer Zeit, zu der sich ein vernünftiger Deutscher mit dem Gedanken an eine geballte Zuführung einer nicht unerheblichen Zahl von Kalorien in sensorisch ansprechender Form beschäftigt, haste ich Depp vorbei. Vorbei am weltbesten Chinesen, der in Personalunion auch als Mongole leckerste Gerichte frisch zubereitet. Es schmerzt, hier vorbeilaufen zu müssen. Oder sollte ich... Nix, weiter! Gleich darauf folgt mit dem Carl Benz-Stadion die Heimat des SV Waldhof Mannheim, der in den 80er Jahren unter seinem legendären Trainer Klaus Schlappner („Schlappi“) in der Bundesliga Furore gemacht hat.

Wiederum kurz dahinter kommt die mir bekannte Mannheimer Region: An der Seckenheimer Landstraße, die wir jetzt durcheilen, liegt u.a. die Bundesakademie für Wehrverwaltung und Wehrtechnik, die ich häufig zu Lehr- und Lernzwecken besuche. Es folgt der kleine Flughafen mit dem netten Restaurant Lindbergh. Mist, schon wieder kann ich nicht einkehren. Die erste Verpflegungsstelle erreichen wir bei km 5 kurz vor Seckenheim, das wir im Folgenden umrunden bzw. durchqueren werden, bevor es auf den Rückweg nach Mannheim geht. Leider kommen wir nicht am sehenswerten Seckenheimer Schloß vorbei und auch nicht an der Neckarbrücke nach Ilvesheim, an der auf meiner Standard-Joggingrunde Halbzeit ist. Einen Teil dieser Runde werden wir aber ab ca. km 13 für rund weitere 6 km nehmen, hier habe ich ein Heimspiel und kenne jedes Schlagloch.

Bei km 6 liegt das erste (Hitze-?)opfer bereits an der Seite, zwei Mitläufer kümmern sich um ihn und lagern die Beine hoch, so kann ich weiterlaufen. Später, in Seckenheim, kommt mit Tatütata ein Krankenwagen und pflügt (vermutlich mit ihm) die Läuferschar auseinander. Alle reagieren schnell und besonnen, sicher sind sie wie ich froh, nicht darin zu liegen und stattdessen weiterlaufen zu können.

In Neuostheim, Suebenheim, insbesondere aber in Seckenheim (Meerburger Straße!) bin ich beeindruckt von der Begeisterung der Anwohner. Man merkt deutlich, wie viel Spaß die Einwohner an diesem großen Ereignis haben und feuern uns entsprechend an. O ja, hier können sich die Bonner und Beueler – Ausnahmen bestätigen die Regel! – jede Menge Scheiben abschneiden. Km 10 passiere ich nach 56:03 min, das sieht doch schon gut aus. Ab der ersten „richtigen“ Verpflegungsstelle gibt es neben dem Üblichen Drittellitertüten mit Iso und Schraubverschluß. Die schmecken gut (also der Inhalt, nicht die Verschlüsse!) und sind superpraktisch zum Mitnehmen.

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Ab ca. km 15 sehen wir den Mannheimer Fernsehturm, an dem wir später vorbeilaufen werden, und nähern uns schon wieder der Stadt. Es ist doch erstaunlich (eigentlich aber auch nicht), wie schnell die Zeit vergeht, wenn es Interessantes zu sehen gibt und die Zuschauer einem ständig einheizen. Nochmals Dank an Euch, Ihr „Mannemer“! Ha jo, Du warsch guuud! Bei km 20 biegen die Halbmarathonis links ab und wir weiter geradeaus. Ein armes Schwein hat das Abbiegen verpaßt, bemerkt dann seinen Irrtum und muß gut einen halben km zurücklaufen. Halbmarathon ist bei 1:58:33 Std. genommen, das stellt mich zufrieden und gibt Kraft für die lange, lange Überquerung der Rheinbrücke (Kurt-Schumacher-Brücke) nach Ludwigshafen. Endlich wieder in Rheinland-Pfalz! Unterwegs kommen uns die beiden Führenden entgegen, passend zur Abenddämmerung in dunkle Hautfarbe gekleidet. Da haben die Mannheimer mit kleiner Börse gearbeitet, denn die Zeiten von gut 2:30 Std. locken keine Spitzenläufer an. Mir, wie sicherlich auch den meisten anderen Mitläufern, ist das sowieso herzlich egal.

Ein netter Stimmungshöhepunkt mit Moderation empfängt uns am Berliner Platz und nicht zum ersten Mal stehen die Zuschauer dicht gedrängt an beiden Seiten und sorgen schon alleine aufgrund ihrer Anwesenheit bei den Läufern für einen runderen Schritt, straffe Haltung und federnd leichten Lauf. Durch Mundenheim und Rheingönnheim laufend merkt man, daß der Fanzuspruch etwas dünner geworden ist, völlig logisch. Es ist schon relativ spät und die Läuferscharen haben doch etwas abgenommen, denn die Halbmarathonis und die Halbmarathonstaffeln fehlen hier. Insbesondere viele Türken erkenne ich im Halbdunkel mit Kind und Kegel an der Straße sitzen, cok merci! Weniger Zuschauer bedeuten mehr Zeit, an mich zu denken und das bekommt mir gar nicht gut.

Ich saufe zwar wie ein Kamel an allen Verpflegungsstellen (es gibt mehr als genug), aber ich muß mich doch ganz ordentlich anstrengen. Plötzlich benötige ich für einen als 5:30 gefühlten km sechs Minuten und muß mir gedanklich selbst in den Hintern treten. In der Gartenstadt fluppt es wieder ganz gut, die 30 km-Zeit paßt trotzdem, die Messung bei km 34,6 prognostiziert auch eine sub 4. Der befürchtete lange Rückweg wirkt gar nicht so lange, denn erstens hat man verschiedene Stellen sehr nett mit Bodenlichtern (Kerzen) dekoriert und zweitens bin ich nur noch am Einsammeln und habe das Fotografieren aufgegeben (die kleine Kamera ist bei der jetzigen Dunkelheit überfordert).

Zwei junge Frauen neben wir werden gerade angefeuert: “Los, Mädels, Ihr schafft das, Ihr seht gut aus!“. Ich protestiere: „Und was ist mit mir?“ „Ach ja, Ihr Jungs, Ihr braucht das doch nicht.“ Von wegen, wo bleibt denn da die Gleichberechtigung?

Wieder in Mannheim passieren wir km 40 und ich bin erstaunt, was die Beine noch hergeben. OK OK, ich weiß, alles ist relativ, aber es geht doch wirklich gut. Die letzten paar hundert Meter um den Wasserturm sind ein Genuß. In Dunkelheit auf einer breiten, beleuchteten Straße mit immer noch gut gefüllten Zuschauerrängen zu rennen hat echt etwas für sich und ich laufe mit großer Begeisterung ein. Selbstverständlich ist ein großer Teil auch der Tatsache geschuldet, daß ich jetzt stehenbleiben darf... Nein, im Ernst: Das ist ein wirklich tolles Erlebnis. Versehen mit einem weiteren Stück dekorativen runden Eisens verlasse ich nach erfolgter Zielverpflegung meine heutige Wirkungsstätte und bin froh, diesen schönen Lauf bei völliger Trockenheit, ganz entgegen der Wettervorhersage, mitgemacht und in 3:56:19 Std. ordentlich absolviert zu haben.

Wieder am Auto angekommen, ist es mittlerweile nach 23 Uhr und das Thermometer zeigt noch 20,4°. Geil! Ruck zuck ist das Verdeck auf und gemeinsam mit AC/DC in Konzertlautstärke verlasse ich Mannheim wieder und düse durch die Nacht zufrieden heimwärts.

Viele zusätzliche Bilder auf marathon4you.de!

 

Sieger
Frauen
1. Wagner, Julia (Deutschland) 3:00:58 h
2. Bauer, Beate (Deutschland) 3:06:35 h
3. Hebding, Marion (Deutschland) 3:16:04 h

Männer
1. Cheruiyot, Isaak (Kenia) 2:30:30 h
2. Chepkewony, Richard (Kenia) 2:31:35 h
3. Van Ghemen, Markus (Deutschland) 2:37:41 h

Streckenbeschreibung:
Rundkurs, je hälftig in und um Mannheim und Ludwigshafen zu laufen ohne größere Steigungen (außer einer Unterführung in Seckenheim und die Brückenrampen), zu 100 % befestigte Wege, teilweise recht schmal.

Rahmenprogramm:
Marathonmesse mit Startunterlagenausgabe im Rosengarten.

Auszeichnung:
Medaille, Urkunde über das Internet.

Logistik:
Sehr kurze Wege, alles top nahe beieinander.

Verpflegung:
Alle 5 km Verpflegungsstände und zusätzliche Wasserstellen dazwischen, gut, reichlich und der Wärme angepaßt. Es gibt Wasser, Isogetränk (Becher und Mitnahmebeutel) und Bananen als feste Nahrung, später auch Cola. Gegen Ende auch Gels. Normale Zielverpflegung.

Zuschauer:
In Mannheim (top ist Seckenheim!) sehr gutes, durchgehendes Interesse, in Ludwigshafen etwas weniger zahlreich, aber Stimmungsnester in den Stadtteilen.