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8. Kevelaer-Marathon am 10.01.2010

Winterkampf tief im Westen
 

Honigkuchen zur Belohnung

Fotos: Klaus Duwe und Thomas Wenning

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Starke Schneefälle sind zum Wochenende gemeldet. Vernünftige Leute freuen sich auf zwei warme Tage, an denen sie nicht mehr als nur unbedingt notwendig die Nase aus der Haustür stecken müssen und ansonsten vor dem Kamin die Füße hochlegen. Ehefrauen weniger vernünftiger Leute hätten an diesen Tagen ihre Gatten am liebsten daheim zum Kuscheln. Die Bescheuerten selber haben seit Monaten ein Autorentreffen von marathon4you.de im Kalender stehen, setzen sich ins Auto und zockeln durch die verschneite Landschaft nach Kevelaer nahe der holländischen Grenze.

Es gibt völlig Bekloppte, die es sich nicht nehmen lassen, das neue Jahr ab der ersten Sekunde an laufend zu verbringen und sich die Neujahrsnacht in Zürich um die Ohren schlagen. Ob es allerdings wesentlich intelligenter ist, gleich das zweite Marathon-Angebot des Jahres anzunehmen, mag der geneigte Leser für sich entscheiden. Zugegeben, auch der Autor stellt sich diese Frage angesichts der Affenkälte und des heimischen lockenden Kamins, will aber nicht kneifen und macht sich mit Sesam (Achim) auf den Weg.

Und daß diese Entscheidung in jeder Hinsicht goldrichtig war, sei hier schon klar zum Ausdruck gebracht. In der warmen Jahreszeit rennen kann jeder, wahre Helden beweisen sich in unkomfortablen Situationen (und träumen heimlich von Gattin und Kamin). Obwohl – unkomfortabel? Das kann man eigentlich nicht sagen. Unsere Freunde von der LLG Kevelaer haben Start und Ziel an die Jugendherberge gelegt, so daß der Aufenthalt im Freien auf das Notwendige beschränkt werden kann. Länger frieren als unbedingt notwendig muß also keiner.

Noch während ich so darüber nachdenke, ob das ein 42 km–auf-Eis-Lauf wird, kommt frohe Kunde vom Veranstalter: Vor dem Lauf wird ein Streufahrzeug über die Strecke (7 Runden über 6 km) gejagt. Man tut also, was man kann, damit der Frost- nicht zum Frustlauf wird.

Achim und ich kommen ganz gut durch, erreichen die Jugendherberge Kevelaer und erhalten zwei Schlüssel. „Oh, Einzelzimmer?“ bin ich ganz überrascht und ernte verständnislose Gesichter. „Nö, Achtbettzimmer, aber Ihr müsst nicht zu acht darauf liegen.“ Na super, das hatte ich zuletzt in den siebziger Jahren. Offensichtlich steht diese JH unter Denkmalschutz: Etagenklos und Dusche im Keller. Aber so schlecht war’s jetzt auch wieder nicht. Superfreundliche Herbergseltern , ein ordentliches Salat-/Nudel-Buffet für 6 €, ausreichendes Frühstück, da kann man nicht meckern.

Der Veranstalter ist klasse: Für die Übernachter gibt’s die Startnummer und ein schönes Funktionshemd bereits am Vorabend. Wir, die 12 marathon4you.de-Autoren, über die andere schon lästern, wir hätten heute wohl Jahreshauptversammlung, nutzen den Abend ausgiebig, uns auch mal persönlich kennenzulernen und mittels geeigneter isotonischer Getränke den Flüssigkeitshaushalt für den nächsten Tag zu regulieren. In der Nacht lerne ich eine der drei wichtigsten Erfindungen der Neuzeit neben dem Internet und der Spülmaschine lieben: Ohropax. Alle Nebengeräusche sind nur sehr undeutlich zu vernehmen und ich schlafe im Gegensatz zu den meisten anderen prima.

Bekleidungsmäßig habe ich die Wahl zwischen Winter- und Arktisausrüstung und entscheide mich richtigerweise gegen die Arktis. Mein geliebtes Odlo-Langarmshirt und eine leicht gefütterte Jacke genügen vollkommen, erst recht nach den paar ersten hundert Metern zum Warmwerden. Von der JH zum Start sind es schlappe 300 m, daher stelle ich mich erst unmittelbar vor dem Start auf und muß überhaupt nicht frieren. Erstmals erfolgt die Zeitmessung per ChampionChip, offensichtlich haben in der Vergangenheit einige Läufer phantastische Zeiten erreicht und dabei leichte Probleme mit dem (unüberwachten) Rundenzählen gehabt. Dinge gibt’s...

Die 400 Startplätze waren bereits am 16. Oktober vergeben. Vermutlich vor allem witterungsbedingt treten aber nur 272 tatsächlich an, von denen 245 das Ziel erreichen.

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Auf den ersten anderthalb km empfinde ich den Untergrund als sehr schwer. Die Veranstalter haben zwar Split gestreut, was etwas hilft, aber dennoch rutsche ich, trotz grob profilierten Trailschuhen, bei fast jedem Schritt weg. Das wird also heute eine harte Sache geben und ich bin höchst gespannt, wie ich das kräftemäßig wegstecken werde. Bei leichtem Frost verlaufen diese ersten knapp anderthalb km am Waldrand und damit windgeschützt. Die nächsten 3 km führen fast ausschließlich über freies Feld. Hier ist der Untergrund zwar besser, das Abstreuen zeigt auch erste Erfolge, dafür wird dieser kleine Vorteil durch unangenehmen Gegenwind sofort wieder wettgemacht. Die letzten anderthalb km sind als Begegnungsstrecke identisch mit den ersten.
 

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Da die Wetterverhältnisse heute also eine echte Herausforderung darstellen, zumindest für mich, mache ich mir gar keine Pläne über eine Zielzeit und will nur ankommen, auch km werden heute nicht abgestoppt. Nach dem ersten schiele ich trotzdem mal auf die Uhr: Runde 6 min. Mal schauen, was noch kommt. Die ersten sechs km sind dann nach 33:56 min schneller als erwartet geschafft. Moment mal, noch kann ich rechnen: 34 min mal sieben Runden macht 3:58 Std. plus 195 letzte m – nicht schlecht, falls ich das durchhalte.

Die Begegnungsstrecke ist eine gute Idee. Fast alle Mitläufer sieht man irgendwann einmal auch von vorne und kann die bekannten davon abklatschen, das ist schön und lenkt etwas von der Anstrengung ab. Eine von zwei Fangruppen (zusätzlich zum Start-/Zielbereich) – großes Lob, die haben vom Anfang bis zum Ende durchgehalten – steht nach dem ersten km mit witzigem LKW und dröhnenden Boxen und feuern unermüdlich an. Die doppelseitige Verpflegungsstelle bietet viel: Tee, Wasser, Cola, Honigkuchen und Bananen. Ich versuche zuerst den Tee. Hervorragend! Frisch aus der Thermoskanne ausgeschenkt ist er optimal temperiert und schmeckt klasse. Ich bleibe dabei. Keine Experimente, so hat’s auch schon Konrad Adenauer gehalten.
 

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Der Mittelteil ist von Runde zu Runde besser zu belaufen, das Streusalz beginnt zu wirken. Einige Fahrzeuge kommen uns entgegen, denn die Strecke ist nicht verkehrsfrei. Diese, bzw. deren Fahrer, verhalten sich aber vorbildlich rücksichtsvoll, so stören sie kaum. Der Kevelaerer Stadtteil Winnekendonk wird im Mittelteil gestreift, am Ortsende steht die zweite Fangruppe und macht, glühweinunterstützt, jede Menge Alarm. Kurz vor dem Rundenende mit der Zeitmessung steht auf einer LKW-Ladefläche der Moderator, sagt im Laufe des Rennens vermutlich über Jeden etwas; das ist für die Zuschauer unterhaltend und für die Athleten nett. So, der Herr Bernath ist also irgendwann schon mal 3:27 Std. gelaufen – hach, war das schön! Für die zweite Runde benötige ich 34:18 min.

Einen Riesenfehler habe ich am Morgen begangen: zu viel Kaffee getrunken. Gepaart mit der Kälte treibt’s mich alle halblang ins Gebüsch. Beim vierten (!) und letzten Mal höre ich einen stänkern: „Den da von marathon4you.de sehe ich nur beim Strullen!“. Na ja, wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung. Recht hat er ja. Leider. Die dritte Runde, auf der mich der Führende bereits überrundet, absolviere ich in 33:47 min. Das ist doch eigentlich schön gleichmäßig und einigermaßen zügig. Und das trotz der teilweisen Rutscherei. Bewundernswert ist der Einsatz der vielen Helfer, die mit Schneeschaufeln bewaffnet während des gesamten Rennens versuchen, den ersten/letzten Abschnitt einigermaßen belaufbar zu machen und zu halten.
 

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Auf der vierten Runde betrete ich Neuland. In Erwartung harter innerer und äußerer Gefechte habe ich erstmals meinen iPod für den Notfall dabei. Der tritt zwar nicht ein, aber nach der Hälfte wird es doch zunehmend ruhiger unter den Läufern. Das Feld ist weit auseinandergezogen und die Anstrengung ist den meisten in den Gesichtern abzulesen. Es wird kaum noch gesprochen. Ich schalte die Mucke ein und genieße das mitgeführte Schwermetall. Zwei weitere Runden in 33:34 und 32:59 min sind die Folge; wie immer muß ich in den 30er km etwas beißen. Reichlich affig finde ich das Verhalten eines Läufers, der entgegen unserer Laufrichtung mehrere flotte Trainingsrunden dreht. So, wie der läuft, schafft der den Marathon auch. Warum macht er dann nicht mit?

Lugte zwischendurch mal kurz die Sonne schüchtern heraus, schneit es wieder leicht und es beginnt durch die nasse Mütze und ebensolche Handschuhe im kalten Wind schattig zu werden. Ich erinnere mich an Tom Ockers’ Buch über den Sibirian Ice Marathon (extrem lesenswert!), werde ganz schnell demütig und genieße das vergleichsweise tolle Wetter. Oder so ähnlich.

Interessant ist es für mich, heute mal die Créme des deutschen Lang- und Ultralangstreckenlaufs zu beobachten. Ich halte ein Schwätzchen mit Cornelia Bullig („Conny rennt“) und wundere mich, daß es bei mir noch einigermaßen flüssig läuft. Bewundere weiter Markus Pitz, der heute mit 3:40 Std. eine starke Vorstellung abgibt, und unseren Anton Lautner, der als Endvierziger in 3:14 Std. Gesamtneunter wird. Die sechste Runde ist nach 33:08 min zu Ende und das scheint zu meiner großen Überraschung tatsächlich auf eine Zeit unter vier Stunden hinauszulaufen. Trotz der doch eher suboptimalen Umstände.
 

Auf der letzten Runde verabschiede ich mich von beiden Verpflegungsstellen und danke auch den beiden Zuschauergruppen, die noch immer Stimmung verbreiten. Kurz vor dem Ziel, die „Ärzte“ verbreiten den stummen Schrei nach Liebe, werden mir die Handschuhe schwer. Ich ziehe sie aus und wringe sie spaßeshalber mal aus. Es tropft nicht, es fließt. Den letzten Kick geben mir Kiss mit Detroit Rock City und auf den finalen 300 m schalte ich das Teil aus, um den nett kommentierten Zieleinlauf zu genießen. Im Ziel gibt es nach 3:56 Std. den berühmten Honigkuchen zur Belohnung und Olaf erzählt etwas vom Runner’s High, das er unterwegs erlebt hat. Ich bekomme das auch regelmäßig. Nämlich immer exakt dann, wenn ich im Ziel bin.

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Also, ganz ehrlich, auch einen Tag später bin ich sicher, daß ich einen Wettkampf unter solch äußeren Bedingungen nicht noch einmal brauche. Einen zweistündigen Trainingslauf lasse ich mir ja noch eingehen, aber das Marathonlaufen bei moderaten Plusgraden hat doch schon etwas mehr für sich. Das soll in keinster Weise die tolle Leistung der Freunde von der LLG Kevelaer schmälern, die alles gegeben und eine sehr gute Veranstaltung auf die Beine gestellt haben. Andererseits – wie sagte der Klaus so schön: „Wann erlebst Du mal einen solchen Lauf in derart toller Winterlandschaft?“ Da hat er auch wieder recht. Aber wie heißt es so schön: Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Mir mein Bierchen. A propos: Erstmals genieße ich (wirklich!) ungekühltes Bier. Und kann nachvollziehen, was der Wirt in „Asterix bei den Briten“ bezüglich des Bieres zu seiner Kundschaft sagte: “Was ist mit Eurer Cervisia? Ist sie Euch nicht lauwarm genug? Soll ich sie lassen temperieren?“

Gut temperiert und komprimiert waren auch meine Waden. Erstmals mit Kompressionsstrümpfen gelaufen, habe ich einen Tag danach nicht den Ansatz eines Problems. Merke: Mit der richtigen Ausrüstung ist es halb so schwer. Deshalb werde ich mir umgehend eine gute Laufmütze und vernünftige Fleecehandschuhe besorgen, um so für künftige Abenteuer noch besser gewappnet zu sein.

Zum Duschen nehme ich mein Langarmshirt vom Rheinhöhenlauf mit, das ich wie alle anderen vor der Dusche liegen lasse. Auf der Bank liegt es relativ einsam und ist nach dem Duschen verschwunden. Inklusive meiner Unterhose. An ein Versehen mag ich nicht so recht glauben, da keine Tasche oder Anderes in der Nähe lag/stand. Sollte ich jemandem unrecht tun, würde ich mich über die Rückgabe freuen. Die Unterhose darf er behalten.

Diesen Bericht gibt’s mit sehr vielen Fotos auch auf marathon4you.de!

 

Streckenbeschreibung:
Flache 6 km-Runde (weitestgehend asphaltiert, nicht verkehrsfrei), 7 mal zu durchlaufen plus 195 m zum Ziel. DLV-vermessen.

Startgebühr:
25 €, bei Anmeldung bis zum 1.12. inkl. Shirt.

Teilnehmerbeschränkung:
400

Zeitnahme:
ChampionChip

Auszeichnung:
Finishershirt, Urkunde

Logistik:
Umkleide und Dusche in der Jugendherberge, dort auch samstags Teilnahmemöglichkeit an der Pasta-Party (6 €).

Verpflegung:
Tee, Wasser, Cola, Bananen und Honigkuchen.

Zuschauer:
Im Start-/Zielgelände gute Resonanz und punktuell zwei weitere Fangruppen.