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39. Hermannslauf am 25.04.2010

Als die Römer frech geworden

 

Auf den Spuren von Arminius, dem Cherusker

Irgendwann erzählte der Papa dem kleinen Wolfgang, daß die bösen Römer Germanien lange Zeit besetzt gehalten hatten. Dann aber kam Hermann, der Germane, fügte ihnen eine fürchterliche Schlappe zu und hielt sie fortan in Schranken. Doch heute, so mein Papa, kämen die Römer schon wieder und wies beispielhaft auf den italienischen Straßenkehrer im Frankfurt der Sechziger Jahre als Vertreter der damaligen klassischen Gastarbeiter. Und dem kleinen Wolfgang ging die Düse.

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Mittlerweile ist mein Geschichtsbild geringfügig differenzierter. Was war also an der Historie dran? Tatsächlich waren die Römer seinerzeit bemüht, auch die rechtsrheinischen Gebiete Germaniens zu einem Teil des Römischen Reichs zu machen. Dies stieß nicht unbedingt auf ungeteilte Begeisterung bei den zu Unterjochenden. Ausgedehnte Erkundungszüge, Teileroberungen und Verbündetensuchen ab dem Jahr 12 v. Chr. erregten bei ihnen nachhaltiges Mißfallen. In Viktor von Scheffels „Hermannslied“ von 1847 heißt es dazu:

Als die Römer frech geworden
 Zogen sie nach Deutschlands Norden
vorne mit Trompetenschall
 ritt der Generalfeldmarschall,
 Herr Quintilius Varus

Damals wie auch heute noch brachte ein besonders perfider Umstand das Faß zum Überlaufen: Ein neues Steuerrecht wurde eingeführt, schon weiland mit wenig Fingerspitzengefühl. Arminius, Fürstensohn des germanischen Cheruskerstammes, der seine Kindheit und Jugend in Rom verbracht hatte und sogar in den römischen Ritterstand erhoben wurde, wandte sich, nach Germanien zurückgekehrt, gegen die römische Oberherrschaft.

Er bewegte mehrere Stämme zur Bildung eines Bündnisses und konnte ihnen kraft seiner Ausbildung die Schwächen römischer Kriegsführung vermitteln. Parallel blieb er aber weiter Tischgenosse des römischen Statthalters, Quintilius Varus, und betrieb ein klassisches Doppelspiel. Auf der Rückkehr in deren Winterquartier am Rhein veranlasste er Varus mit dreien seiner Legionen aufgrund eines fingierten Berichtes über einen kleinen regionalen Aufstand zu einem Umweg über ihnen unbekanntes Terrain.

In unübersichtlichem und schwierigem Gelände gingen Arminius und seine Verschwörer voraus, angeblich um Verbündete heranzuführen. Der weitermarschierende Varus geriet dabei in einen von Arminius sorgfältig geplanten Hinterhalt. Von allen Seiten fielen die Germanen über die bis zu 20.000 Soldaten mit ihren 5.000 Zugtieren her und töteten fast alle, wobei ihnen die lange Zugordnung der Römer (15 – 20 km!) gemeinsam mit dem unwegsamen Gelände entscheidend zu Hilfe kamen.

Plötzlich aus des Waldes Duster
Brachen kampfhaft die Cherusker,
Mit Gott für Fürst und Vaterland
Stürzten sie sich wutentbrannt
Auf die Legionen.

Weh, das ward ein großes Morden,
Sie schlugen die Kohorten,
Nur die röm'sche Reiterei
Rettete sich noch ins Frei',
Denn sie war zu Pferde.

Kaiser Augustus soll angesichts des Verlusts eines Achtels seiner gesamten Streitmacht in Rom gerufen haben: „Quintilius Varus, gib mir meine Legionen wieder!“ Aber genutzt hat dem alten Hermann sein Sieg letztlich nicht nachhaltig, denn nach internen Zwistigkeiten haben ihn eigene Verwandte kurzerhand abgemurkst. Über den genauen Ort der Schlacht wird heftig diskutiert, Kalkriese bei Bramsche ist derzeit Favorit. Wie dem letztlich auch sei, für uns ist das heute völlig wurscht. Unsere Huldigung an Arminius führt durch den Teutoburger Wald und ihm zu Ehren wird nicht Blut, sondern jede Menge Schweiß vergossen.

Elke und ich reisen bereits am Vortag an, besuchen die von der Erosion freigelegten, sehenswerten Externsteine in der Nähe, übernachten im nahe gelegenen Bad Driburg und verbringen mit unseren Freunden Silke und Markus einen angenehmen Samstag. Markus ist den Hermann schon ein paar Mal gelaufen, hat aber diesmal keinen Startplatz mehr bekommen. So frönt er der Regeneration nach dem Obermain-Marathon und  übernimmt in diesem Jahr die Führung meines persönlichen Fanblocks, bei zwei Frauen Herausforderung genug.

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„Nur“ 31,1 km bei +515/-710 Höhenmetern lautet die heutige Aufgabe. Gegen langweilige 30 km-Trainingsläufe habe ich eine ausgeprägte Allergie, das heute gefällt mir dagegen sehr. Ich stehe auf derartige „Unterdistanzläufe“. Rheinsteig-Extrem-, Nürburgring-, Rotweinwanderweg- und Drachenlauf in meiner Ecke, Monte-Sophia- in Niederzier und Fünf-Seen-Lauf in Schwerin, Rund um den Wolfgangsee und etliche andere genießen ebenfalls mittlerweile Kultstatus und locken teils beträchtliche Teilnehmerzahlen an, die so manchen auch nicht ganz kleinen Marathonveranstalter neidisch werden lassen. Rund 7.100 haben heute gemeldet.

Die Startnummernausgabe erfolgt im Gymnasium Waldhof in Bielefeld (Achtung: Die per E-Mail versandte Anmeldebestätigung nicht vergessen!). Dann geht es per Bus zum Startpunkt Hermannsdenkmal. Die Busse starten in unmittelbarer Nähe zum Gymnasium am Waldhof - unübersehbar - ab 7.00 Uhr. Die Nervosität und Stimmung in den Bussen sei das erste Glanzlicht des Hermannslaufes, wie die Veranstalter auf ihrer Homepage verkünden. Ich aber lasse mich von Elke, Markus und Silke per Auto bringen. Später haben sie den Auftrag, ihrem Helden an markanten Streckenpunkten zu huldigen.

Damit die Teilnehmer nicht bereits in ihrer Laufkleidung in die Busse steigen müssen, erhalten sie mit den Startunterlagen einen Kleidersack mit Startnummernaufkleber, in den sie in Detmold all das stopfen können, was sie beim Lauf zur Sparrenburg nicht brauchen. Die gefüllten Kleidersäcke werden ungeordnet in bereitstehende LKWs geworfen. Im Zielbereich findet jeder seinen eigenen Kleidersack bei Vorzeigen der Startnummer wieder. Das ist ein weiteres Highlight des Hermannslaufes (O-Ton der Veranstalter).

Die Auffahrt zum Hermannsdenkmal ist heute für Privat-PKW leider gesperrt. Wir nutzen den kostenlosen Buspendelverkehr vom Ausweichparkplatz Freilichtmuseum, Friedrich-Ebert-Straße. Neben dem Aufsagen von Beschwörungsformeln und anderen Ritualen gehört lt. Veranstalter dazu das Packen und Abgeben des Kleidersacks bis spätestens 10.30 Uhr und für viele ein Gang zur Toilette, die in ausreichender Anzahl vorhanden sind. Wir schauen uns lieber das Denkmal in aller Ruhe an.

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Das 54 m hohe Monument auf dem Teutberg ist eine Wucht und wurde unter dem Eindruck der politischen Zerrissenheit Deutschlands in der Sehnsucht nach einer nationalen deutschen Identität zwischen 1838 und 1875 errichtet. In diesem Zusammenhang ist übrigens auch das „Lied der Deutschen“, unsere Nationalhymne, zu sehen und zu werten, doch darüber erzähle ich Euch etwas in zwei Wochen nach Helgoland. Die Figur ist fast 27 m hoch, alleine das Schwert mißt 7 (sieben) Meter, wiegt 550 kg und zeigt zum Erbfeind nach Westen. Da haben die Franzmänner aber Glück gehabt, denn bei uns am Deutschen Eck in Koblenz zeigt ihnen das Pferd von Willi I. nur seinen Allerwertesten.

Und zu Ehren der Geschichten
tat ein Denkmal man errichten,
Deutschlands Kraft und Einigkeit
kündet es jetzt weit und breit:
"Mögen sie nur kommen!"

Da wir tatsächlich erschienen sind – augenscheinlich haben sich auch einige moderne Römer hierher getraut - kann der Start nun in drei zeitlich versetzten Gruppen aus getrennten Starträumen erfolgen. Gruppe A (Elite) startet um 11.00 Uhr, Gruppe B (Normalos) um 11.05 Uhr, Gruppe C (Freizeit- und Erstläufer) um 11.15 Uhr, Nordic Walker starten im Anschluß an Gruppe C. So verhindert man erfolgreich potentielle Verletzungen der Läufer bereits im Ansatz. Die Startgruppe wird übrigens, abhängig von vorausgegangenen Laufleistungen, mit der Teilnahmebestätigung mitgeteilt und steht auch auf der Startnummer. Die Starträume sind ab 10.40 Uhr zu betreten. Um 10.50 Uhr müssen alle auf ihren Plätzen sein und nervös mit den Hufen scharren.

Den Start der Gruppe A fotografiere ich und checke mal direkt, ob die Einlaßkontrollen konsequent durchgeführt wurden. Das ist natürlich nicht der Fall, ich entdecke etliche B-kodierte Startnummern in den Reihen. Dazu später mehr.

Als Ersttäter muß ich in die letzte Gruppe und darf endlich um 11.15 Uhr auf den Hermannsweg, den wir heute über weite Strecken nehmen werden, loslaufen. Hätten die Veranstalter die Anmeldung nicht bereits Anfang Februar schließen müssen, wäre es garantiert eine satte fünfstellige Zahl an Teilnehmern geworden. Das packt aber die Strecke eindeutig nicht. Einlaufen schenke ich mir und mache auch keinen Thorsten-Hintsch-Turbostart, nein, ICH nicht! Gut ist, daß ich mich in meiner Startgruppe ziemlich weit vorne eingegliedert habe, denn ich kann schnell zunächst relativ frei laufen. Nach der Umkurvung des Hermann führen die ersten drei km auf erst geschottertem, dann asphaltiertem relativ engem Weg kontinuierlich fast 200 Höhenmeter bergab; ich habe aber die dumpfe Ahnung, daß das so nicht bleiben wird. Richtig, auf dem nächsten km wird der erste, noch kaum wahrnehmbare, Hubbel genommen. Zwischen den km 4,5 und 7 stehen dann etwa 120 Höhenmeter, diesmal bergauf, an. Ich mache hier langsam, denn auch 31,1 km wollen gelaufen sein.

Etwa an km 5, vorher hat es schon das erste Mal außerplanmäßig Wasser gegeben, steht zum ersten Mal mein bestelltes Jubelkommando inkl. meiner Thusnelda. Das ist jetzt ausnahmsweise mal nicht frauenfeindlich, sondern der Name der Ehefrau unseres germanischen Helden. Ich wundere mich über die doch schon vergleichsweise zahlreichen Zuschauer, aber das sollte nur der erste, zarte Anfang sein.

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Überrascht bin ich, schon seit km 4 mehr und mehr zu überholen. Insbesondere etliche junge Frauen mit teils beeindruckenden eingelagerten Energiereserven in der Körpermitte und den hinteren Extremitäten laufen so langsam, daß diese mit in der Gruppe B gestartet sein müssen. Das ist für diejenigen, die zügig laufen wollen, ein echtes Problem. Nicht jede(r) hat sich also passend zu seinem/ihrem Leistungsvermögen aufgestellt und das führt dazu, daß man permanent am Überholen, Querlaufen, Abstoppen, Anlaufen ist. Und das gestaltet sich bei der Enge der Wege häufig genug schwierig. Es muß leider deutlich gesagt werden: Die Strecke ist überfüllt, es sind zu viele Läufer unterwegs. Damit aber kein Mißverständnis entsteht: Die Route ist traumhaft schön, abwechslungsreich, zuschauerintensiv, einfach herrlich!

Oben auf dem Großen Ehberg angekommen, werde ich durch 80 Bergabmeter belohnt. Und dieser ständige Wechsel zwischen Auf und Ab wird sich im weiteren Verlauf der Strecke bis zum Ende fortsetzen. Wohl dem, der regelmäßig in hügeligem Gelände unterwegs ist! Ab etwa km 8 passieren wir den Truppenübungsplatz Senne bei Augustdorf über eine breite Panzerstraße, deren Art mir aus alten Zeiten beim Barras, meist aus der Kommandantenluke, wohl vertraut ist. Am Anfang schon die zweite Wasserstelle und wenig später die erste „richtige“ Verpflegungsstation. Angeboten werden temperiertes Wasser ohne Kohlensäure, Tee, Apfel-, Apfelsinen- und Bananenstücke. Die Anfeuerung ist riesig, Tour-de-France-Gefühl pur. Als Rheinländer dachte ich bisher immer, die Westfalen seien alle so wie Rüdiger Hoffmann: Paderborn, „ja, hallo erst mal“ und so, Ihr wißt schon. Nichts dergleichen, die sind tatsächlich quicklebendig! Um nicht zu sagen: Hier ist die Hölle los!

Die km zwischen 9 und 14 verlaufen, außer daß einige Abschnitte auf tiefem Sandweg zu überwinden sind, relativ undramatisch und eben. Viele, auch ich, nutzen die Gelegenheit, auf einem schmalen, parallel verlaufenden Waldweg mit festerem Untergrund besser voranzukommen. Aufgrund der Trockenheit der letzten Tage ist es sehr staubig, was aber das Laufen nicht behindert. Aber schwer warm ist es und es wird immer wärmer. Die folgenden 2 km bringen den für mich als schwierigsten empfundenen Anstieg zum Tönsberg. Zunächst gibt’s aber bei km 13,5 an der Stapelager Schlucht die nächste Atzung. Die Steigung jogge ich komplett hoch, viele sind bereits am Gehen und kämpfen heftig mit den rund 100 Höhenmetern, insbesondere am Ende. Belohnt werden jedoch alle mit einem wunderbaren Fernblick vom Tönsberg; dieses Bild kann die Kamera leider nur unzureichend einfangen.

Äußerst hilfreich ist die vom Veranstalter auf seiner Internetseite angebotene Tabelle mit Zwischenzeiten für vier unterschiedliche Zielzeiten. Durch das abwechslungsreiche Profil helfen einem da abgestoppte einzelne km relativ wenig. So kann ich mich sehr gut an diesen Werten orientieren und kontrollieren, ob die Chance besteht, unter drei Stunden zu bleiben. Als quasi Spickzettel habe ich diese auf meinen Unterarm geschrieben. Und sollte das mit den drei Stunden nicht funktionieren, liegt’s garantiert an der Bielefeldverschwörung. Derzufolge ist nämlich die Existenz von Bielefeld überhaupt in Frage gestellt. Und was nicht da ist, kann man auch nicht erreichen. Schon gar nicht in drei Stunden. Im Zweifelsfall eine super Ausrede!

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Plötzlich sehe ich ein mir von „meinem“ blinden Kenianer, Henry Wanyoike, vertrautes Bild: Einen von einem sehenden Läufer geführter blinder Läufer. Ich pirsche mich heran, mache ein Bild von hinten, frage, ob von vorne eines erlaubt ist, höre ein „Selbstverständlich!“ und „Grüß den Klaus schön von mir!“. Das ist doch tatsächlich der Didi, den ich schon in Arolsen beim Adventmarathon abgelichtet habe. So klein ist die Welt!

Ich registriere erfreut, daß ich inzwischen die Hälfte geschafft und somit im wahrsten Sinne des Wortes Bergfest habe und liege mit 1:25 Std. sehr gut in der Zeit, da kann ich nicht meckern. Wie gewonnen, so zerronnen: Wie wir uns nach oben geschleppt haben, geht’s jetzt wieder hurtig nach unten. Unterwegs wird noch bei 18,4 km zum dritten Mal (offiziell) Verpflegung aufgenommen und schon wir sind in Oerlinghausen. Landschaftsläufe habe ich ja schon viele mitgemacht, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt: So klein das Dorf ist, so viele Zuschauer (natürlich auch wieder meine Fans) stehen hier auf einer gut beschallten Partymeile. Hier steppt der Bär! Da läßt sich auch das ansonsten unangenehme Kopfsteinpflaster ertragen. Viele laufen in den links und rechts davon verlegten Regenrinnen.

Die jetzt folgenden rund 6 km sehen im Profil absolut harmlos aus, aber die vielleicht 160 Höhenmeter gehen insbesondere zum jetzt schon fortgeschrittenen Rennverlauf gut ins Bein. Es kommt nämlich nicht nur darauf an, wie steil es ist, sondern wie erschöpft man sich schon fühlt, wie die Veranstalter sehr zutreffend bemerken. Höhepunkte dieses Abschnitts sind das Schopkebachtal und die Überquerung der Autobahn 2. Die 20 km-Marke nehme ich nach 1:50 Std. Bei km 22,5 kommen doch tatsächlich fast 100 Treppenstufen, die berühmt-berüchtigten Treppen von Lämershagen, aber so etwas kenne ich ja vom Rheinsteig zur Genüge. Was aber nichts daran ändert, daß die es echt in sich haben. Bei mir läuft es im wahrsten Sinne des Wortes hervorragend und ich jogge auch hier parallel der Treppen hoch. Nach Funk- und Aussichtsturm (Gaststätte „Eiserner Anton“ – m4y-Co-Autor Lautner habe ich vergeblich gesucht -, vierte und letzte offizielle Verpflegungsstelle) geht es wellig, aber stetig abwärts.

Für einen Udo hängen mehrfach Anfeuerungsschilder an den Bäumen. Er bezwingt den Hermann heute zum fünfundzwanzigsten Mal. Unterwegs treffe ich auf ihn und wir wechseln ein paar Worte. Normalerweise hat er 2:10 bis 2:15 Std. drauf, erzählt er mir, heute aber einen erheblichen Trainingsrückstand. Lieber Udo, Du musst Dich nicht rechtfertigen. Sowohl Dein Jubiläum als auch eine Zeit wenig unter drei Stunden sind nichts, für das man sich schämen müßte.

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Nochmals kommen bei km 26 Treppenstufen, die einem jeglichen Schwung nehmen. Dies kann mich aber nicht bremsen. Spätestens seit den Hitzeläufen 2008 in Bad Pyrmont  und untertage in Sondershausen ist mir klar, daß Heißluftlaufen mein Ding ist. Ich saufe zwar wie ein Kamel, aber es läuft supergut, ich bin trotz Fotografierens nur am Überholen und werde selber nur selten versägt. Ab den letzten drei km beginnt das Zuschauerspalier dichter zu werden.

Der letzte km auf der Promenade zur Sparrenburg (restaurierte Festungsanlage, Bielefelder Wahrzeichen) kann dann doch noch ziemlich lang werden. Gut, wenn man sich nicht völlig verausgabt hat und den tollen Empfang noch genießen kann. Ich gehöre heute zu den Glücklichen, es ist die reine Freude. „Den eigentlichen Sinn des Hermannslaufes erfahren die Läuferinnen und Läufer beim Schritt über die Ziellinie, wenn sie das Glücksgefühl überkommt“ (Homepage). Der Zieleinlauf ist nämlich gem. Veranstalter – oh Überraschung! - der Sinn des Hermannslaufes.

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Ich habe nach 2:50 Std. fertig und nach und nach kommen alle ins Ziel. Aus diesem Holz sind wahre Helden geschnitzt, sogar die paar modernen Römer hat man scheinbar leben lassen. Ja, heute sind wir wirklich großzügig! Ich kann mich nicht erinnern, daß es mir nach einem Lauf mal so gut gegangen wäre. Hätte man mir im Ziel gesagt: „Jetzt hängst Du noch 11,1 km dran und machst den Marathon voll!“, es wäre machbar gewesen. Welch ein Laufwochenende liegt nun hinter uns: Alleine 13 Langstreckenläufe und Marathons sind auf marathon4you.de gelistet, da fiel die Auswahl wirklich schwer. Aber so ist das halt an einem DER Frühjahrsmarathonwochenenden (welch ein Wortungetüm!). Aber wir laufenden Schreiberlinge haben uns gut verteilt, wie Ihr unschwer feststellen könnt.

Einen weiteren Höhepunkt, so die Ausrichter weiter, erlebe der Läufer nach dem Zieleinlauf beim Empfang der Medaille. Das ist wohl normalerweise so, aber leider muß die ausgeschriebene Medaille diesmal nachgesandt werden, die sind nämlich vulkanausbruchbedingt irgendwo hängen geblieben. Zum Trost gibt’s ein Schokolädchen. Der Sieger und die Siegerin erhalten übrigens jeweils einen Siegerkranz. Nach der Ernährungserstversorgung (es gibt Wasser, Tee und Obst) kann man wählen, ob man sich direkt ins Getümmel der Bewunderer stürzt, erst den Kleidersack abholt oder eine Massage beansprucht.

Für die letzten Läufer haben die Macher dann noch einen ganz netten letzten Hinweis: Für einige sei der Weg das Ziel. Sie hielten sich deshalb sehr lange auf der Strecke auf und genössen die Landschaft. Sie seien nur daran erinnert, dass um 16.30 Uhr Zielschluss sei. Das hieße nicht, dass dann der Sinn aufhöre, sondern nur, dass dann keiner mehr die Zeit messe und die Versorgungsstände zusammengeklappt würden.

5.345 Läufer(innen) werden im Ziel gezählt, neben einigen zusätzlichen Wanderern und Walkern scheint es doch bei uns Läufern einige Ausfälle gegeben zu haben. A propos Walker: Achim Achilles, aufgepaßt! Kurz vor dem Ziel überhole ich eine geschlossene Formation seiner geliebten „Stockenten“ (Nordic Walker). Diese bewegen sich, man höre und staune, diszipliniert HINTEReinander! Liebe Leute, so vertragen wir uns. Und das sage ich ihnen auch später im Ziel und ernte strahlende Gesichter.

Irgendwie scheint mich Heinrich von Kleist gekannt zu haben, wenn er, meinen derzeitigen Zustand, Heimreise und künftige Vorhaben vorausahnend, sein Werk „Die Hermannsschlacht“ wie folgt beendet:

Ihr aber kommt, Ihr wackern Söhne Teuts,
Und laßt, im Hain der stillen Eichen,
Wodan für das Geschenk des Siegs uns danken! –
Uns bleibt der Rhein noch schleunigst zu ereilen,
...
Und dann – nach Rom selbst mutig aufzubrechen!

Ich kann nur resümieren: Der Lauf ist wirklich toll und m.E. ein unbedingtes Muß für jeden Langstreckler. Und wer von den Puristen jetzt sagt: „Nee, Unterdistanzen sind nicht mein Ding, dafür schnüre ich doch die Schuhe nicht!“, dem sei gesagt: Selbst schuld. Für alle anderen sang es Udo Lindenberg schon vor 34 Jahren: „Und seh’n wir uns nicht in dieser Welt, dann seh’n wir uns in Bielefeld!“

Diesen Bericht gibt es auch mit über 300 Fotos auf marathon4you.de

 

Teilnehmerzahl und Mindestalter:
Auf 7.000 Läufer und Wanderer beschränkt. Regelmäßig bereits Anfang des Jahres ausgebucht, daher frühzeitige Anmeldung erforderlich. Mindestalter: 16 Jahre.

Streckenbeschreibung:
Nicht zu unterschätzender welliger Punkt zu Punkt-Kurs auf unterschiedlichsten Untergründen über 31,1 km und +515/-710 Höhenmeter vom Hermannsdenkmal (Detmold) zur Sparrensburg oberhalb der Bielefelder Innenstadt. Teilweise sehr eng.

Rahmenprogramm:
Kostengünstige Übernachtungsmöglichkeit in einer Sporthalle in Bielefeld, kleine Marathonmesse, leckere Kuchen.

Auszeichnung:
Medaille, Urkunde aus dem Internet. Funktions-Shirt gegen Bezahlung. 

Logistik:
Startnummernausgabe im Gymnasium am Waldhof, Bielefeld. Transport zum Start in Bussen. Hinter dem Ziel findet man Duschzelte. Eine weitere Duschmöglichkeit besteht in der Sporthalle des Gymnasiums am Waldhof.

Verpflegung:
4 Versorgungsstellen bei km 8,3, 13,5, 18,4 und 26,2 km. Angeboten werden temperiertes Wasser ohne Kohlensäure, Tee, Apfel-, Apfelsinen- und Bananenstücke. Etliche zusätzliche Wasserstellen und viele private Verpflegungsstationen.

Zuschauer:
Völlig landschaftslaufuntypisch. Sehr großes Interesse, echte Begeisterung und fast durchgehend, auch im Wald. Glanzlichter sind die Panzerstraße, Oerlinghausen und die letzten beiden km. Über diesen Zuspruch würde sich so mancher Stadtlauf freuen. Natürlich ist das heute aber auch vom Wetter deutlich begünstigt worden.