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Liebe auf den ersten Blick - Laufen wie die Tarahumara


Ganz vorsichtig lüfte ich erwartungsvoll den Deckel des Kartons. Langsam gleitet er nach oben, Licht fällt hinein und gibt den Inhalt frei. Putzig. Süß. Nee, welch ein Anblick!

Regelrecht verschlungen hatte ich das kürzlich erschienene Buch „Born to run“ von Christopher McDougall. Er berichtet darin über die Tarahumara, ein fast vergessenes mexikanisches Indianervolk aus der Sierra Madre mit schier unglaublichen Laufleistungen auf ultralangen Strecken. Und das mit einem Schuhwerk, das diese Bezeichnung eigentlich nicht verdient. Denn es handelt sich nur um eine dünne Sohle, die mit feinen Riemen an Fuß und Unterschenkel befestigt ist. Also streng genommen um Barfußlaufen.

Barfußlaufen ist auch ein großes, grundsätzliches Thema in diesem Buch. Der Autor schildert darin anhand plastischer, nachvollziehbarer Beispiele, warum man seinem Fuß nichts besseres gönnen kann, als unbeschuht die Welt zu durchstreifen.

Ganz neu war mir das Thema aufgrund eines kurzen gemeinsamen Barfußlaufs mit dem „Pumuckl“ Dietmar Mücke bei unserem Staffelmarathon in Waldbreitbach nicht. Diese vier km brachten mir zwar zwei Blasen an meinen verweichlichten Füßen ein, aber auch die Erkenntnis, daß ich orthopädisch gut damit zurechtkomme. In der Folge bin ich dann immer wieder mal ein wenig barfuß, überwiegend auf Asphalt, gelaufen. Mein  grundsätzliches Problem dabei sind bei schlechtem Untergrund die zu weichen, nicht ausreichend abgehärteten Fußsohlen.

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Und da erwähnt McDougall Zehenschuhe. Zehenschuhe? Tatsächlich hat ein Hersteller die Zeichen der Zeit erkannt und eine Fußbekleidung entwickelt, die im Wesentlichen aus einer Sohle und fünf Zehentaschen bestehen, die durch dünnes Obermaterial miteinander verbunden sind und entweder als Slipper, mit einer Schnalle oder Schnürsenkeln getragen werden. Natürlich gibt es für verschiedene Gelegenheiten und Untergründe auch unterschiedliche Sohlen. Und ein solch putziges Teil strahlt mich aus dem Karton an. Liebe auf den ersten Blick. Klar, daß sie sofort getestet werden.

Der Hersteller empfiehlt eine gewisse Eingewöhnungsphase beim An- und Ausziehen sowie beim Tragen. Damit halte ich mich natürlich nicht auf und bin voller Erwartung sofort auf der Piste. Man hat das Gefühl, einen leichten Sommerschuh am Fuß zu haben, die „Portionierung“ der Zehen ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber nicht störend.

Patsch, patsch, patsch macht’s bei den ersten Schritten und auch bei den zweiten. Perfekt. Hört sich zwar doof an, beweist aber die für mich sofort spürbaren positiven Auswirkungen. Marathon4you.de-Coach Andreas Butz hatte unlängst meinen Laufstil kritisiert, ich sei ein ausgesprochener Fersenläufer. Was zwar bei guter Fersendämpfung kein wirklich spürbares Problem ist, dennoch auf Dauer negative Auswirkung auf den Körper hat. Und hier bewirken die Zehenschuhe Wunder: Der Fuß merkt, daß an der Ferse keine Dämpfung ist und stellt automatisch auf Mittelfußlaufen um. Der Schritt wird etwas kürzer und der Stoß beim Aufsetzen erheblich günstiger absorbiert. Genau so wie beim „richtigen“ Barfußlaufen.

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Schnell habe ich mich an die leichten Schuhe gewöhnt und erwische mich dabei, daß ich nach den ersten km phasenweise am Träumen bin und dabei völlig vergesse, mit bzw. auf was ich da laufe. Ein gutes Zeichen. Ich merke aber auch, daß ich anders, vielleicht bewusster, abrolle. Und das wiederum meine ich verstärkt in den Waden zu spüren. Nicht unangenehm, nur ungewohnt.

Und weil es so gut läuft, kürze ich nicht ab und laufe die komplette Runde von 11 km, überwiegend auf Asphalt, aber auch auf Gras und Schotter. Am Ende habe ich das Gefühl, mit federndem Schritt flott dahinzuschweben. Das ist zwar frommes Wunschdenken, wie mir natürlich klar ist, aber Beweis für den guten Tragekomfort. Meine Befürchtung, die Schuhe seien zu klein, bewahrheitet sich auch nicht. Der Hersteller empfiehlt die normale Schuhgröße, eher eine Nummer kleiner. Nach einer guten Stunde Laufzeit beschweren sich die Zehen nicht. Am Abend auf dem Sofa meine ich eine verstärkte Beanspruchung der Fußgelenke zu spüren und die Waden ziehen etwas, keinesfalls jedoch dramatisch. Am nächsten Morgen ist beides verschwunden.

Am nächsten Tag findet unser Lauftreff statt und es juckt mich gewaltig, die neu erworbenen Treter dort vorzustellen. Gesagt, getan. Nach weiteren gut 10 km mit rund 350 Höhenmetern ist aber erst einmal eine Pause angesagt. Die Belastung ist ganz offensichtlich doch eine andere, jedenfalls habe ich spürbaren Muskelkater in den Beinen und die Knie beschweren sich auch etwas.

Zumindest bei trockener Witterung werde ich aber die für mich als ausgesprochen positiv empfundenen Schuhe weiter ausgiebig und mit ausgeweiteter Streckenlänge testen. Bei gutem Verlauf ist damit ein Marathon im kommenden Jahr nicht ausgeschlossen.