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57. Schwarzwald-Marathon am 12.10.2025
El Classico
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Ein Klassiker zu sein, wie das ewige Duell im spanischen Fußball zwischen den Königlichen aus Madrid und dem katalonischen FC Barcelona, ist durchaus kein Privileg einer Ballsportart. Auch in der von uns hochgeschätzten Bewegungsform gibt es Glanzlichter, an denen man eigentlich nicht vorbeikommt. „Du bist kein kompletter Läufer, wenn Du nicht wenigstens einmal von Marathon nach Athen gelaufen bist!“, sagte mir mal ein Bekannter – und das völlig zu recht, wie ich selber unmittelbar nach dem Zieleinlauf ins ehrwürdige Panathinaiko-Stadion feststellen durfte. Diesem Glanzlicht wären auf internationaler Bühne durchaus noch einige hinzuzufügen.
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Aber auch bei uns zuhause gibt es Veranstaltungen, an denen ein gestandener Läufer in seinen langen Jahren organisierten Hechelns nicht vorbeikommt. Dazu zählt ohne Frage zunächst einmal der Lauf um den Essener Baldeneysee, der als ältester ununterbrochen ausgetragener deutscher Marathon bereits sage und schreibe 63 mal stattgefunden hat. Gut, das kommt jetzt nicht gegen Boston mit bisher konkurrenzlosen 129 Ausgaben an, aber wir bewegen uns ja auf nationaler Ebene.
Auf Platz zwei in Germanien rangiert der Schwarzwald-Marathon in Bräunlingen, der immerhin bereits 56 Durchführungen aufzuweisen hat. Warum aber ist gerade diese Veranstaltung etwas ganz Besonderes? Die Gleichberechtigung beider Geschlechter, heute eine Selbstverständlichkeit, war in den Sechziger Jahren noch lange nicht realisiert. Zwar stand Frauen mittlerweile das aktive und passive Wahlrecht zu, aber ungleiche Entlohnung (außer im Staatsdienst) war die Regel und ein eigenes Bankkonto ohne die Genehmigung des Gatten zu eröffnen, durften die lange als „schwaches Geschlecht“ bezeichneten Frauen bei der Erstausgabe des Schwarzwald-Marathons 1968 erst seit zehn Jahren.
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Das Mißverständnis von Frauen als körperlich schwach führte nämlich dazu, daß diese „zu ihrem eigenen Schutz“ an keinen Langstreckenwettbewerben teilnehmen durften. Der legendäre „Skandal“ mit Catherine Switzer als erste Frau beim Boston-Marathon war gerade erst ein Jahr her, als man in Bräunlingen von Beginn an eine Frauenwertung in die Ausschreibung aufnahm, womit der Schwarzwald-Marathon der erste Marathonlauf weltweit war, der auch dem „schwachen“ Geschlecht offenstand. Von den ca. 600 Teilnehmern waren schließlich 51 Frauen am Start, von denen 48 das Ziel erreichten. Nachdem sich auch in den nächsten beiden Jahren die Befürchtung, die Damen seien einer so langen Strecke nicht gewachsen, als gegenstandslos erwiesen hatte und der DLV auch keine Anstalten machte, von sich aus gegen den Start der Frauen vorzugehen, stellten die Organisatoren für die Austragung 1971 offiziell den Antrag, den Frauenlauf zu genehmigen. Dem wurde stattgegeben, und somit war der DLV unter den internationalen Verbänden der erste, der Frauenmarathons erlaubte. Kein Wunder, daß Anfangs/Mitte der Siebziger Jahre schon mehr als 1.500 Läuferinnen und Läufer an den Start gingen, was den Schwarzwald-Marathon, als es noch keine City-Marathons gab, zum teilnehmerstärksten Marathonlauf weltweit (!) machte.
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Wenn das keine Voraussetzungen sind, als Klassiker zu gelten! Nachdem ich viele Jahre lang bei meinen grundsätzlich monatlichen Marathonteilnahmen anderen Veranstaltungen im Oktober den Vorzug gegeben hatte, ist es dieses Jahr endlich so weit. Meine starke, deutlich bessere Hälfte wird gleich zwei Wettbewerbe testen, nämlich den Zehner am Samstag (15 Uhr) und den Fünfer am Sonntag (10:15 Uhr), während ich sonntags auf dem langen Kanten ab 9:30 Uhr unterwegs sein werde. Fußläufig zu Start und Ziel an der Stadthalle untergekommen, gönnen wir uns nach ihrem ersten Lauf nicht nur die regionstypische Maultaschenparty auf der Marathonmesse, sondern auch die kostenlose, einstündige Führung durch das 6.000-Seelen-Städtchen um 18 Uhr.
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Die günstige Startzeit am Folgetag erlaubt ein gemütliches Frühstück, bevor ich mich unter die knapp 600 gleichgesinnten Einzelläufer, darunter etliche 100 MCler aus Deutschland und der Schweiz, mische, die bei noch kühlen 7 Grad, aber durchaus freundlichem Himmel darauf warten, von der Leine gelassen zu werden. Die Ausschreibung spricht von einem Einrundenkurs über 80% gut befestigte Waldwege und 20% Asphalt. Die erste Hälfte soll lt. Streckenprofil leicht ansteigend und danach ebenso leicht fallend sein. Das gefällt mir, denn wenn die Beine schwer zu werden beginnen, wird mich die Schwerkraft ins Ziel ziehen. Das zumindest bilde ich mir tapfer ein.
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Einsam wird’s von Anfang an nicht werden, denn ich treffe Anja und Georg, den frisch gebackenen Trans-Europa-Läufer, der heute wieder mal auf einer seiner Hausstrecken unterwegs ist. Es wird ein extrem kurzweiliger Plauderlauf für uns beide werden, der sämtliche Informationsdefizite beseitigen sollte. An der Stadthalle wird pünktlich gestartet, und unmittelbar an unserer Unterkunft vorbei haben wir Bräunlingen schnell verlassen. Der Naturmarathon wird seiner Bezeichnung alle Ehren machen, denn bald schon erreichen wir bei wirklichem Kaiserwetter über freies Feld und die Ortschaft Bruggen tangierend die ersten (Schwarz)Waldabschnitte. Regelmäßig begleiten uns nun hübsch gestaltete Kruzifixe an den Wegrändern, die für mich als gläubigem Katholiken noch heile Welt vermitteln. Die ersten fünf km sind abgearbeitet, bevor ich das erste Mal auf die Uhr geschaut habe. Georg meint, er würde mich aufhalten, aber dem ist beileibe nicht so, ich weiß das muntere Geplauder mit ihm sehr zu schätzen.
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An einer Wegkreuzung im Wald stehen Vater und Tochter als Fahnenschwinger, deren gelbe und rote Farben die Bräunlingens sind, wie ich seit der Stadtführung weiß. An km 10, eine Stunde und 6 Minuten sind verstrichen, überschreiten wir eine Zeitmeß-Kontrollmatte, die, wie wir wissen, sinnvoll ist, denn „kreative“ Mitläufer trifft man leider immer wieder. Kurz dahinter erfolgt der erste Staffelwechsel, deren jeweils vier Teilnehmer das Marathonfeld deutlich bereichern. 190 (4 x 45) Sportlern macht man auf diese Weise Beine. Auf einer für den Autoverkehr gesperrten Straße trennt sich die Halb- von der Marathonstrecke, die Halben setzen ihren Weg auf dem liegenden Oval weiter gen Westen fort. Die VP sind mit Helfern und Lebensrettendem gleichermaßen gut besetzt und bieten mindestens Wasser, Iso und Bananen an. Mehr braucht kein Mensch, wir wissen das.
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Wir umlaufen die kleine Ortschaft Oberbränd südlich und nähern uns der Halbzeit, die wir nach 2:23 Stunden erreichen. Auch hier erfolgt eine elektronische Zeitnahme. Zahlreiche weitere, optisch unspektakuläre km führen durch den Forst, die durch meine Gespräche mit Georg fast unbemerkt vergehen. Die Sonne lacht dazu seit geraumer Zeit und gegen das Verlaufen schützen zahlreiche Flatterbänder und Bodenmarkierungen. Nach gut 34 km durchqueren wir das genau so wie Oberbränd kleine Unterbränd, das zunächst mit einer netten, steinernen Kapelle glänzt und dann durch eine Partyzone. Partyzone? Rechts und links des Wegs sorgen viele Schilder mit lockeren, für mich teilweise tatsächlich neuen Sprüchen (z.B. „Eat Pasta, run fasta“) für Amusement, als deren Höhepunkt ein privater VP überrascht. „Likörchen oder Wein?“ heißt es am Gabentisch, was erst mich, dann Georg zu Vollbremsungen verleitet. „Ist das Euer Ernst?“ „Klar, das Zeug muß weg!“ Da lassen wir uns doch nicht zweimal bitten und langen beherzt zu. Alte Hasen sind über alles erhaben und lassen sich das Likörchen (es gibt sogar eine Auswahl!) schmecken. Als Resultat schweben wir wie auf Wolken weiter, denn seit km 22 geht es kontinuierlich bergab. Knappe fünfhundert Höhenmeter wird Strava am Ende attestieren.
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Das geradezu meditative Waldvergnügen setzt sich noch weitere km fort, bis wir vor Waldhausen, einer weiteren kleinen Ortschaft, wieder freie Sicht bekommen. Der unverändert von kleinen Schäfchenwolken kaum getrübte Himmel bietet dazu die perfekte Kulisse. Knappe 39 km sind absolviert, als wir die wenigen Häuser Waldhausens durchqueren. Am Ortsende sitzen Feuerwehrkameraden auf ihrem Einsatzfahrzeug und amüsieren sich über den Dödel, der sie fragt, ob sie denn noch könnten. Am Horizont erscheinen weitere Gebäude, die das Ortseingangsschild als Zähringerstadt Bräunlingen – benannt nach einem alten Fürstengeschlecht - identifiziert. Es ist also schon fast wieder geschafft. Auf der Zielgeraden empfängt mich eine hochzufriedene Gattin, die neben dem gestrigen Zehner (Zweite ihrer Ak!) auch den heutigen Fünfer erfolgreich absolviert hat. Das hat über die Königsdistanz nach 4:37 Stunden dann auch der Gatte, der sich sehr über den überraschenden Besuch seines lieben Laufkameraden Daniel freut, welcher spontan von Schaffhausen erschienen ist,nachdem er den Schreiberling in der Starterliste entdeckt hatte. Jede Menge Läuferlatein, nicht zuletzt beim gemeinsamen (kaum vorhandenen) Wundenlecken bei Kaffee und Kuchen runden dieses schöne Laufwochenende ab. Ich freue mich sehr, diesen Klassiker bei optimalen Bedingungen endlich auf meine Habenseite gebracht zu haben. Denn wie Athen – auch wenn der Vergleich sicherlich etwas hinkt – gehört dieser Lauf in jede Sammlung eines gestandenen Marathonläufers.
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