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Bonn-Marathon (April-Challenge) am 30.04.2022


Bonn-Marathon mal ganz anders

Betretene Mienen bei den lokalen und auch zahlreichen überörtlichen Läufern: Wieder mal fällt er aus, der beliebte Marathon durch die ehemalige Schaltzentrale der Bundesrepublik. Aber schon wie im vergangenen Jahr ließen sich Veranstalter und Hauptsponsor, die Deutsche Post, etwas einfallen. „April-Challenge“, so heißt erneut das Angebot an Sportler aller Leistungskategorien, sich einen Monat lang täglich müde zu machen.

Unmittelbar hinter der Konzernzentrale der Post, dem Doppelbau Posttower, wurde ein kleines Start- und Zieltor installiert und mit einer elektronischen Zeitmessung ausgestattet sowie eine 5 km-Runde vermessen. Für schlappe zehn Euro hatte das Volk nun die Möglichkeit mitzumachen. Von morgens bis abends konnte man vom 1. bis zum 30. April täglich einmal zwischen einer und acht Runden zurücklegen und das auch noch in einer Ergebnisliste dokumentiert bekommen. Sogar eine tägliche Urkunde gab's noch! Und nicht nur das: Ein Funktionsshirt war inkludiert und sogar eine attraktive Medaille! Last but not least spendete die Post pro Teilnehmer zwei Euro an Bonner Sportvereine. Kein Wunder, daß sich über 3.000 Läufer zusammenfanden, die am Ende zehntausende km sammelten.
Doch was hat das mit unserer Lieblingsdistanz zu tun? Ein kluger Mensch – zu ihm später mehr – hatte sich mit den Veranstaltern ins Benehmen gesetzt und gemeint: Wo man 40 km laufen kann, gehen auch noch 2,2 km mehr. Tatsächlich hatte man auf ihn gehört,  die 5 km-Runde um 275 m verlängert und fertig war die Kiste. Zu drei Startzeiten am letzten Apriltag, nämlich für 9, 10 und 11 Uhr hatten wir uns zu 5 und 10 km bzw. Halb- und Marathon anmelden können. Offensichtlich war die Resonanz aber nicht wie erwartet, sodaß 9 Uhr für den Marathon und 10 Uhr für den Halben angesetzt wurden.

 

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Mit anfangs elf weiteren Unentwegten stehe ich also um 9 Uhr parat, die Startnummernausgabe und der Toilettenwagen sind geöffnet. Der Spaß kann also beginnen, nachdem die Startnummern der Helden der Langstrecke mit je einem roten Punkt versehen wurden. Rechts abgebogen passieren wir zunächst einen kleinen Weinberg als Reminiszenz an das Weinanbaugebiet Mittleres Rheintal und begeben uns in die weitläufige Rheinaue. Die es, wäre es nach dem Willen der Mehrheit der damaligen Stadtväter gegangen, gar nicht mehr geben würde.
 

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Der 160 ha große Freizeitpark Rheinaue, von Einheimischen nur „die Rheinaue“ genannt, entstand in den Grundzügen Ende der 1970er Jahre. Damals unbebaut und landwirtschaftlich genutzt, war der Auwald am Rhein durch die Begradigung und die intensive Schiffbarmachung des Flusses stark reduziert worden. Nachdem Bonn 1949 provisorische Bundeshauptstadt geworden war, entstand am nördlichen Rand der Rheinaue das Regierungsviertel, am südlichen eine Siedlung für US-amerikanische Diplomaten. Da die Rheinaue das größte unbebaute Areal im Herzen des gewachsenen Bonn darstellte und zudem an einige bestehende Regierungsgebäude grenzte, bot sich hier der Bau eines großen, repräsentativen Regierungsviertels an, der alle Bundesministerien räumlich konzentriert hätte.

Einige, glücklicherweise nicht alle dieser Pläne wurden umgesetzt. Um die verbliebenen Grünflächen als Naherholungsgebiet zu retten, bewarb sich die Stadt Bonn um die Bundesgartenschau 1979. Sie erhielt den Zuschlag und ließ die bestehenden Rheinwiesen und anliegende landwirtschaftlich genutzte Flächen nach Durchführung eines Architektenwettbewerbs zum heutigen hügeligen Landschaftspark umgestalten. 45 km Fuß- und Radwege, mehrere Seen und Spielplätze wurden angelegt. Heute ist die Rheinaue das beliebteste Bonner Naherholungsgebiet.
 

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Dem indianischen Totempfahl folgt der japanische Garten und mit dem Freilufttheater eine Anspielung auf seine römischen Vorgänger. Einigen Repliken römischer Grabsteine im sog. Löffelwald lenken unsere Aufmerksamkeit auf sich, dann unterqueren wir die Südbrücke, über welche die kurze A 562 führt. Dahinter tut sich linkerhand der Auensee auf. Normalerweise wunderbar aussehend ist er zur Zeit trockengelegt, weil er generalzusanieren war.

Weit vor uns kann ich die Vorauslaufenden sehen, denn ich bilde das Schlußlicht (was allerdings so nicht bleiben wird). An  der scharfen Linksabbiegung werden wir bald für Stunden eine Übung des hoffnungsfrohen Nachwuchses der Bonner Feuerwehr verfolgen können. Wieder nach rechts unmittelbar am Rhein gilt es, eine Begegnungsstrecke zu absolvieren. Der Wendepunkt, der bei der üblichen 5 km-Runde zu nehmen ist, gilt heute nur für die Kurzdistanzen. Für uns und die Halblinge hat man eine zweiten Wendepunkt um 137,5 m nach hinten verlegt, um auf die korrekten Strecken von 42,2 bzw. 21,1 km zu kommen. Im Gehege rechts von uns grast schmackhaftes Wild. Nach der Wende führt der Weg entlang des Rheins in Fließrichtung weiter.
 

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Auf der gegenüberliegenden, der Beueler Seite grüßen im sog. Bonner Bogen das architektonisch ungewöhnliche Kameha-Hotel sowie die Rohmühle, ein ehem. Zementwerk. Auf dessen großer Freiterrasse kann man es sich u.a. sonntags beim Brunch mit Rheinblick gutgehen lassen. Über den Heimkehrerweg (!) geht’s wieder unter der Südbrücke hindurch, links steht fast majestätisch das Bismarckdenkmal mit dem Reichsadler und dem Familienwappen derer von und zu. Über einen Kiesweg führt der weitere Weg, links ist der Bereich des sog. Bonner Kunstrasens, wo regelmäßig Veranstaltungen stattfinden. Wehmütig denke ich an die Scorpions auf ihrer Crazy World-Tour zurück. Bevor wir ins ehemalige Regierungsviertel mit dem Abgeordnetenhochhaus Langer Eugen kommen, biegen wir links ab und sind über eine Baustelle bald wieder auf der Startgeraden. Unmittelbar vor dem Posttower erfolgt die zweite Wende und vorbei am Moderator laufe ich durchs Zeitmeßtor.

Ihr seht: Es handelt sich um eine höchst attraktive, abwechslungsreiche Runde, die schnell ein zweites Mal durchmessen ist. Über die dritte freue ich mich ganz besonders, denn meine Freund Jürgen hat sich kurzfristig zu einem Stadtbummel sowie 5,275 Solidaritätskilometern entschlossen. Auf der vierten Runde – die Szenerie hat sich durch zahlreiche weitere Läufer erheblich geändert – werde ich von unserem Clubmitglied Wolfgang Menzel angesprochen, der es heute bei zehn km belassen wird. Ein dritter Wolfgang sei noch unterwegs, nämlich der Gieler. Nach dem bin ich schon die ganze Zeit am Schauen, denn bei ihm habe ich vor knapp zwei Jahren hier zum ersten Mal an einem der Null-Euro-Läufe teilgenommen. Marathonmäßig hat er mir damit eine neue Welt eröffnet, den von dieser Sorte habe ich an unterschiedlichen Orten mittlerweile ein gutes Dutzend gesammelt. Tatsächlich treffe ich ihn unterwegs mehrmals, und als wir später gemeinsam im Ziel sind, erzählt er mir, daß genau er es war, der die Veranstalter zu diesem Marathonangebot überzeugen konnte. Lob und Anerkennung, lieber Wolfgang!
 

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So vergeht Runde um Runde, jede für sich kurzweilig, denn immer wieder gibt es neue Leute und weitere Details zu entdecken. Erfreulicherweise gibt es mit Wasser und Bananen sogar eine kleine, völlig ausreichende Streckenverpflegung. Meine Flaschen hätte ich also gar nicht mitbringen müssen. Die Siegerehrung ist in vollem Gange, als ich nach knapp viereinhalb Stunde meine achte Runde und damit diesen schönen Marathon beende. „Herzhaft oder süß? Brötchen oder Teilchen? Berliner oder Pudding?“ Als ich auch noch ein bleifreies Erdinger serviert bekomme, ist mein kleines Glück perfekt. Wolfgang und sein Begleiter sind nach einem Frühstart um 8 Uhr (für Wolfgang eher spät) auch bald im Ziel. Umsonst ist sogar ein Foto, das wir als Ausdruck mitnehmen können, auch die Datei wird gestellt. Mit einem gemeinsamen Sieger-/Heldenfoto verlassen wir diese gastliche Stätte und freuen uns jetzt schon auf die angekündigte Wiederholungsveranstaltung im Oktober.
 

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