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4. Skymarathon Rosengarten-Schlern am 10.07.2021

Hardcoretrail für wahre Könner

Schwer atmend erreiche ich den Grasleitenpass, froh, am vorentscheidenden Punkt auf 2.610 m Höhe heil angekommen zu sein. Ich verpflege ausgiebig und schaue mir den weiteren Streckenverlauf an. Dann trifft mich der Schlag.

Liebe auf den ersten Blick war es gewesen. Unser Bernie hatte die Erstausgabe dieses neuen Angebots in den Südtiroler Dolomiten vor vier Jahren erfolgreich gerockt und sensationelle Fotos mit nach Hause gebracht: Sommer, Sonne, grauglänzender Stein vor stahlblauem Himmel, optische Hochgenüsse in Reinkultur. Bei näherem Hinsehen entdecke ich dann die vermeintliche Kehrseite der Medaille: 45 km, 2.980 m bergauf und 3.083 m bergab, zehn Stunden Zeit, null Meter Asphalt. Null Meter Asphalt? Die Entscheidung zur Teilnahme ist im Herzen gefallen, bevor sich der Verstand sortiert hat.

Da stehe ich nun im Morgengrauen und bin umgeben von drahtigen, schlanken und vor allem überwiegend jungen Gestalten, die mich an der Sinnhaftigkeit meines Vorhabens zweifeln lassen, noch bevor der erste Meter zurückgelegt ist. Kann ich alter Zausel so etwas überhaupt schaffen? Einige namhafte Bergmarathons habe ich durchaus vorzuweisen, auch bin ich selber regelmäßig bei meinem Wiedtal-Ultratrail über 65 km und 2.100 Höhenmeter dabei, aber so massiert profiliert auf vergleichsweise kurzer Distanz bin ich noch nie unterwegs gewesen. Was hilft’s? Wer A sagt, muss sich auch dem B stellen.

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Aktuell fühle ich mich gut vorbereitet, ohne zu wissen, ob es genug sein wird. Aus meiner Sicht vernünftig trainiert befinden Elke und ich uns bereits seit einer Woche in Südtirol, wohnen auf rund 1.100 m Höhe und haben durch die Teilnahme am Seiser Alm Halbmarathon sowie diverse Wanderungen auf mindestens 2.000 m Höhe in sechs Tagen rund zweieinhalbtausend Höhenmeter gesammelt und dabei sicherlich die Zahl der Erythrozyten nicht verringert. Wenn Du zuhause auf lediglich 100 m Höhe lebst, ist das durchaus ein Thema, dazu bin ich Kenia-erfahren und weiß, daß das wichtig ist.
 

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Um 6 Uhr treffe ich in Tiers ein, wo ich bereits gestern die Startunterlagen samt sehr gut gefüllter Beigaben-Tüte (Laufrucksack, Schüttelbrot, Iso-Flasche, Apfel und Schlüsselband) empfangen habe und lasse mich im Kleinbus ins nächste Dorf, St. Zyprian, karren. Dort entlässt man uns auf eine große Wiese, über die Tiers wohl nicht verfügt. Ganz Schlaue haben bestimmt im unmittelbar angrenzenden Hotel übernachtet und können auf den letzten Drücker anrücken, ich hatte von unserer Pension Erlacher in Villanders gute 40 Minuten Anfahrt. Um 6:45 Uhr startet das obligatorische Briefing, das Katja, die Pressechefin, mir gegenüber noch mit dem einen oder anderen Detail vertieft. Corona-Routine auch hier: Alles steht aufgelockert mit Maske vor der Schnüß zum Start bereit, Vater dort, wo er hingehört, also ziemlich hinten. Auch zahlreiche Starter über die sog. Kurzdistanz von 36 km und 1.900 auf und ab verstärken das knapp 400 Sportler zählende Feld.

Gleich kräftig bergan

Die beeindruckenden Spitzen des sagenumwobenen Rosengarten voraus, stürmt die Horde los. Vorne vielleicht, nein, sogar ganz sicher, aber hinten sieht man das deutlich gelassener und startet im Gehen. Jeder weiß, daß auf den ersten nur sieben km rund 900 Höhenmeter auf uns warten. Und auch ich erkenne sofort, warum ich mich von der Mitnahme der Stöcke habe überzeugen lassen. Deren fast unabdingbare Notwendigkeit wird sich im weiteren Verlauf eindrucksvoll beweisen. Erste Schotter- und Wurzelpassagen zeigen bereits am Anfang – das allerdings nur vage, wie ich hinterher wissen werde -, was auf mich zukommen sollte. Frisch ist es am Morgen und auch ich bin es noch, als ich an der ersten (Wasser)Verpflegungsstelle bei der Plafötsch Alm ankomme. Gerne nehme ich trotzdem den ersten Becher und schone meine mitgeführte Halbliterflasche voll Edelsteinwasser von Erlachers aus Villanders.
 

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Mehrere Holzbrücken über den augenblicklich trockenen Angelbach bieten nette Fotomotive, im Rückwärtsschauen beginnen die ersten Bergspitzen zu leuchten. Die erste Vollversorgung an der Haniger Schwaige bietet neben Wasser und Iso sowie Keksen und Salzstangen bereits den heutigen Lebensretter: Wassermelonenstücke! Steil führen Trampelpfade durch lichten Wald und über herrlich grüne Wiesen, Wasser scheint’s hier genug zu geben. Hektarweise abgestorbene Bäume oder bereits leergeräumte Kahlflächen wie zuhause sehe ich glücklicherweise nicht. Schnell gewinnen wir Höhe, gerade im Rückblick tun sich bereits phantastische Perspektiven auf. Dann höre ich einen Schuss. Noch einen! Au Backe, was tut sich da? Jetzt mal ernsthaft, die werden doch keine Jagd ausüben? Wenig später klärt sich die Frage: Der angekündigte Peitschenschwinger! Den hatte ich ja ganz vergessen! Und wie schön der flucht, denn er hat seine Spitze verloren und kann nicht mehr knallen. „Dann tu doch wenigstens so fürs Foto!“, bitte ich ihn. Gehorchen kann er auch.
 

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Der Weg ist durchweg mit roten Fähnchen markiert. Eine querverlaufende Kabinenseilbahn taucht auf, exakt unter ihr sind die ersten tausend Höhenmeter erklommen. Ein Mitläufer erfüllt das gängige Klischee vom Dauertelefonierenden Italiener. Wieder gibt es eine Zwischenverpflegung mit Wasser und Iso, eiskalt, aber notwendig. Becher werden keine ausgegeben, zumindest hier nicht, ein mitgeführter Trinkbecher ist Pflicht. Höher und höher schrauben wir uns, kommen an der Bergstation einer weiteren Seilbahn vorbei. Teilweise sind die Wege sogar zu belaufen, sofern sie nicht zu steil werden und ich mich zum Marschieren diszipliniere.

Schon von weitem erkenne ich ihn, wie er stolz auf einem herausragenden Felsen im Hang thront: Den Bronzeadler, den man Theodor Christomannos, dem Pionier des Fremdenverkehrs in Südtirols, gewidmet hat. Eine freundliche Wanderseele bietet mir die Gelegenheit für ein schönes Erinnerungsfoto, bevor es an der Baumgrenze über recht gute Wege zur Rotwandhütte auf 2.283 m mitten im Rosengarten geht, wo man uns zusätzlich u.a. mit Bananen und knusprigem Nutellabrot versorgt, lecker!
 

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Rosengarten? Nun, dazu gibt es eine nette volkstümliche alpenländische Sage um den Zwergenkönig des Rosengartens, Laurin. Sie erklärt das rote Alpenglühen des Rosengarten-Massivs zur Dämmerungszeit. Auf einer Hochzeit uneingeladen erschienen, entführte er kurzerhand die Braut, was nicht überall auf ungeteilte Begeisterung stieß. Man verfolgte ihn, und trotz Tarnkappe und Zaubergürtels blieb er zweiter Sieger. Laurin belegte daraufhin den Rosengarten, der ihn durch Zweigbewegungen verraten hatte, mit einem Fluch: Weder bei Tag noch bei Nacht sollte ihn jemals mehr ein Menschenauge sehen. Leider vergaß er dabei die Dämmerung, weshalb der Rosengarten beim Sonnenauf- und -untergang „blüht“.

Auf zum Grasleitenpaß

Uns dagegen blühen weitere zweitausend Höhenmeter, weshalb ich mich bald wieder absentiere. Durch eine traumhaft schöne Landschaft geht es, teilweise laufbar, teilweise schwierig durch Schuttkare weiter durchs Massiv des Rosengartens. Das Panorama ist überwältigend. Stetig geht es immer höher hinaus, am Zigolade-Paß kratzen wir erstmals an der Marke von 2.600 m. Erste Schneefelder tauchen auf, eine willkommene Abwechslung, Erinnerungen an den legendären ehem. Zugspitz-Extremberglauf kommen hoch. Noch lache und freue ich mich über die wenigen Meter der Durchquerung. Ein steiler, sehr langer Abstieg fordert mein ganzes, überschaubares Können. Zwischendrin eine Seilsicherung, zusätzlich verstärkt durch die Bergretter. Dann folgt eine längere Passage durch ein Schneefeld, vorsichtig eiere ich hindurch, ohne Stöcke wäre ich aufgeschmissen.

 

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Der Bewuchs nimmt ab, die Strecke an Schönheit zu, falls das überhaupt noch geht. So etwas habe ich in der Massierung noch nicht gesehen und bin total froh, hier und heute unterwegs zu sein, auch wenn mich die Zweifel hinsichtlich des erhofften Erfolgs plagen. Am Ende eines Trampelfades steht erneut ein Bergretter, um uns unfallfrei auf einen breiten Fahr- und Spazierweg hinunterzuhelfen. Um es direkt zu sagen: Das wird heute der einzige „vernünftige“ Weg bleiben, den wir uns ab sofort mit Horden Wanderer teilen dürfen. Es tut meinem Ego gut festzustellen, daß die meisten von denen deutlich mehr zu kämpfen haben als ich. Trotz meines Schleichtempos bin ich viel am Überholen.

Karawanengleich zieht sich die bunte Menschenschar nach oben, der nächste zivilisierte Ort ist die Vajolethütte auf 2.246 m. Ich stärke mich zunächst einmal ausgiebig und nehme erstmals das Salzangebot mit Gurkenscheiben in Anspruch, Cola verschmähe ich zu diesem für mich zu frühen Zeitpunkt. Weiter führt der noch gut zu gehende Weg in die Höhe, denn 400 m müssen wir noch dorthin aufsteigen, wo sich normalerweise die Schlüsselstelle des Kurses befindet. Hier, an der hölzernen Grasleitenhütte auf 2.601 m, sind nämlich die Hälfte der Strecke geschafft und auch etwa zwei Drittel der Höhenmeter. Nach fünfeinhalb Stunden musst Du hier durch sein, sonst lassen sie Dich nicht auf die lange Strecke, sondern leiten Dich ohne Wertung auf den kürzeren 36 km-Kurs durchs Tschamintal nach Tiers um. Ich habe extra nicht auf die Zeit geachtet, sondern mich auf mein Gefühl verlassen und entsprechend bewegt. Resultat: 5:13 Stunden und damit 17 Minuten Luft zum Cut Off. Allerdings kann ich mir heute dafür nichts kaufen, denn den Ort der Wahrheit haben sie in diesem Jahr ans Ende des folgenden Abstiegs mit verlängerter Zeit gelegt.
 

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Der Moment der Wahrheit oder auch: Holy shit

Wieder stärke ich mich und blicke nicht grundlos besorgt den Berg hinab. Noch ein paar Meter habe ich festen Boden, genauer gesagt Geröll, unter den Füßen, dann empfängt mich ein gletscherartiges, sulziges Schneefeld, das stramm nach unten zeigt. Ach Du Sch… Wenn ich Skifahren könnte und jetzt Bretter unter den Füßen hätte, würde ich elegant in die Tiefe wedeln. Mangels Vermögen und Eleganz wäre ersatzweise die Schneepflug-Technik zweite Wahl, aber auch die findet ohne Skier nicht statt. Wie eine Loipe zeigt ein quasi gespurter Weg auf der Direttissima talwärts. Wie soll ein älterer Flachlandtiroler da unfallfrei hinunterkommen? Selbst im hintersten Feld, in dem ich mich bewege, zieht man links und rechts an mir vorbei. Das ist der Augenblick, in dem ich erstmals realisiere, daß meine technischen Fertigkeiten für diese Aktion nicht ausreichend sind. Diese Erkenntnis hilft mir aber nur bedingt, denn ich muss hinunter in die Schnee- und Steinwüste.

Es ist das Grauen, ehrlich. Teilweise reicht mir der Schnee bis an die Knie, ständig bin ich mit den Armen am Rudern im verzweifelten Bemühen, einigermaßen das Gleichgewicht zu halten. Ewig dauert mein Weg nach unten, ich eiere, rutsche, bin ein Bild des Jammers und es grenzt an ein Wunder, daß ich nicht öfter als dreimal die Textilbremse bemühen muss. An Fotos auch nur zu denken kommt mir nicht in den Sinn, daher müsst Ihr Euch dieses Elend vorstellen. Nee, lieber nicht, ist besser für meine Reputation. Irgendwann, ich hatte noch kaum darauf zu hoffen gewagt, bin ich unten. Zur Belohnung gibt ein Alphornbläser sein Bestes, entdecken kann ich ihn allerdings nicht. „Du musst in fünf Minuten an der Kreuzung sein!“ schallt es mir entgegen. Holy shit 2.0. Wo die ist? Ja, da vorne! Vater nimmt die Beine in die Hand und ist drei Minuten vor Toreschluss da. Darf ich noch? „Attacke!“
 

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Natürlich muss ich gleich wieder steil bergauf gehen, zwischen zwei riesigen Felsen liegt ein Einschnitt, dort befindet sich das nächste Zwischenziel. So, damit wäre ich erstmals Letzter. Sehen kann ich die „Konkurrenz“ noch vor mir, aber nicht erreichen. Hoch und höher geht es hinaus. Echte Lichtblicke sind die vereinzelten Alpenblümchen, die sich kleine Nischen zwischen den Steinen gesucht haben. Ich raffe mich zu mehreren Fotostopps auf, diese Zeit muss sein. Ein Seilzug hilft beim Aufstieg, erschütternd ist der Blick zurück. Oder eigentlich nicht, denn da habe ich mich ja hinaufgearbeitet. Wieder sind Schneefelder zu durchqueren, allerdings nicht mehr so heftige wie der beim Abstieg von der Grasleitenhütte. Nochmal komme ich richtig hoch hinaus, der Held der Bergwacht sorgt nicht nur bei mir für ein tolles Erinnerungsfoto. Über einen teils seilgesicherten, letztlich aber problemlosen Abstieg erreiche ich das Tierser Alpl, ein Schutzhaus zwischen Rosengarten und Schlern auf 2.440 m, mit schon von weitem leuchtenden roten Dach. Wieder bietet der VP das volle Programm, von dem ich Salz, Gurken, Nutellabrot verschlinge und vor allem wieder bei der Wassermelone zuschlage.

Abwärts

Laufbar sieht der folgende Weg auf den Fotos aus, laufbar hatte ich ihn auch erwartet. Das ist er für mich nur eingangs, denn er ist ausgewaschen, stark steinig, völlig ungeeignet für einen entspannten Downhill. Damit wir uns recht verstehen: Ich rede von meinen Unzulänglichkeiten, Könner hüpfen hier problemlos runter. Am Schlernhaus auf 2.457 m wieder die volle Verpflegungsbreite. Wenn man sich umschaut – und das sollte man -, lässt sich nochmal die Herrlichkeit der Berge in mehrere Richtungen bewundern. Und als ich dann meine, wirklich bergab traben zu können, ist von flüssiger Bewegung nicht zu sprechen, diesen Untergründen bin ich nicht gewachsen, zumindest nicht laufend. Gute zehn km bei 1.500 m Abstieg stehen auf der Agenda. Also wird weitgehend gewandert, indes meine Vorläufer enteilen. Ein Highlight ist die Sesselschwaige, an der mir der Hüttenwirt ein sehr leckeres, aromatisiertes Wasser anbietet, das ich dankbar annehme. Es wird mir auch erklärt, was ich mir da einverleibe, aber zu diesem Zeitpunkt bin ich auch verbal nicht mehr allzu aufnahmefähig.

Die Bodenbeschaffenheit bleibt für mich ein Grauen. Ich weiß, daß ich mich wiederhole, aber da kann ich nicht hinunterlaufen. Ich nicht. Vielleicht mit frischen Beinen, aber nicht jetzt. Ich verliere unendlich viel Zeit und bin völlig alleine. Dankbar nehme ich das Seilgeländer zu Hilfe, dann verspricht ein Bohlenweg in der Ferne lockeres Traben. Glücklicherweise hatte mir die Franzi aus unserem Lauftreff vorab Fotos geschickt, insofern bin ich auf den sog. Prügelweg eingerichtet, der durch eine Klamm hindurchführt, nicht umsonst als Höllenklamm bezeichnet. Die Prügel sind mal rund, mal eckig, haben unregelmäßige Zwischenräume, sind also für meinen Zustand optimal geeignet. Dazwischen immer wieder grobe Steine. Optisch landschaftlich traumhaft schön ist meine untere Körperhälfte gegenteiliger Ansicht. Ich bin dann doch nicht alleine, Albrecht macht ein Päuschen. Geteiltes Leid ist halbes Leid, eine Zeitlang bleiben wir zusammen.
 

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Ein letzter knackiger und sehr langer Aufstieg beglückt mich ab etwa km 37, hier sind nochmals einige hundert Meter auf den Tschafon (1.737 m) zu überwinden, wo wir uns im Dreieck von Seiser Alm, Schlern und Rosengarten befinden. Noch fünf km. Ein letzter VP wartet auf einen einsamen Spaziergänger, der wenigstens auf den letzten Metern anstandshalber in den Laufschritt fällt. Auf der Wiese fällt sogar mir das nicht schwer. Wunderbar liegt mir Tiers im Tal zu Füßen, noch wunderbarer wäre es, wenn ich mich schon unten befände. Einen letzten Blick auf den Rosengarten gönne ich mir, dann laufe, ja laufe ich bedächtig einen halbwegs vernünftigen Weg nach unten. Dann kommt die Katastrophe.

Einen Lauf mit exakt null Metern Asphalt hatte man uns versprochen und jetzt dieses: Eine Straße, vermutlich die zwischen Tiers und St. Zyprian, ist zu überqueren. Eine Asphaltstraße. Asphalt! Ich höre schon die im Organisationsteam heiß diskutierte Frage ob Brücke, Unterführung, fliegender Teppich oder was auch immer. Zuerst sehe ich den tollen, rotlackierten, offenen Oldtimer-Jeep der örtlichen Feuerwehrkameraden und beneide sie darum. Dann halte ich mir den Bauch vor Lachen – das klappt noch! – und erkenne die Lösung des Problems: Rollrasen. Rollrasen! Man hat Rollrasen über den Asphalt verlegt! Sensationell. Was müssen die gelacht haben, als sie sich das ausdachten. Einfach stark. Und weil auch diese Jungs nett sind, kommt der Herr Bernath noch an ein schönes Poser-Foto,  mit bzw. auf dem Rollrasen, versteht sich!
 

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Back in black!

Der letzte km bricht an. Über eine langgezogene Wiese laufe, ja laufe ich auf Tiers zu, höre bereits die Moderation und fühle mich mitten im Evangelium nach Lukas: Der verlorene Sohn kehrt heim, musikalisch untermalt von AC/DC, die mit dem Lied und gleichnamiger Schallplatte „Back in black“ eine triumphale Rückkehr nach dem tragischen Tod ihres charismatischen Sängers Bon Scott feierten. Ehrlich, ähnlich triumphal fühle mich auch, selbst wenn es in der Gesamtbetrachtung bei 42 Minuten Verspätung wenig Grund dazu gibt. Als absolut außergewöhnlich empfinde ich nicht nur die Begrüßung durch die Pressechefin Katja, sondern auch die ungeteilte Aufmerksamkeit sowie den anhaltenden Applaus der teilweise viele Stunden vor mir eingetroffenen Laufkameraden. Auch das macht das Trailrunning zu etwas Besonderem. Fast etwas peinlich ist mir die Überreichung des Preises für den dritten Platz der Altersklasse M 60 durch Renate, aber bei der (u.a.) Megaportion Müsli wird frau sich sicherlich etwas gedacht haben…
 

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An dieser Stelle ist es Zeit abschließend zu bilanzieren, was ich schon das eine oder andere Mal im Bericht habe anklingen lassen. Es handelt sich beim Skymarathon Rosengarten Schlern um eine sensationell gute Veranstaltung in traumhafter Umgebung mit hohen Ansprüchen an die Physis der Läufer. Extrem abwechslungsreich und daher nie langweilig richtet sie sich in erster Linie an die wahren Könner. An diejenigen, die mit solchen Verhältnissen eng vertraut und nicht wie ich bloß ab und zu in solchen Gefilden unterwegs sind. Das Problem stellen weder die von Frl. Suunto ermittelten 45,2 km noch die 3.100 Hm auf- und 3.200 Hm abwärts dar. Die entscheidende Herausforderung sind die extrem fordernden, unterschiedlichen Untergründe. Damit kommst Du, wie die meisten der heute Angetretenen, zurecht oder die Sache ist für Dich bei einer Zielzeit von zehn Stunden eine Nummer zu groß. Für mich war sie das. Den Organisatoren bin ich sehr dankbar, daß sie, wie in den vergangenen Jahren, alle in die Wertung nahmen, die den Cut Off hinter dem Grasleitenpass geschafft hatten.

Ist das also für Leute wie mich ein Grund, diese Veranstaltung zu meiden? Mitnichten. Bucht die sog. Kurzstrecke über 36 km und 1.900 Höhenmeter, dann seid Ihr bei gleicher Zielzeit von zehn Stunden auf der sicheren Seite.

Welch ein Erlebnis!Long, hard, phantastic. Ich bin sehr froh, hier gewesen zu sein.
 

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Diesen Bericht gibt’s auch mit noch mehr Fotos auf Marathon4you.de!

Streckenbeschreibung:
Technisch und konditionell sehr anspruchsvoller Lauf über 45,2 km auf überwiegend 1.500 bis 2.600 m Höhe, offizielle 2.980 Hm aufwärts und 3.083 Hm abwärts, Zielzeit 10 Stunden, Cut Off bei Halbzeit nach 5:30 Stunden.

Startgebühr:
Je nach Anmeldezeitpunkt 60 oder 70 € für den Kurz-Ultra.

Weitere Veranstaltungen:
36 km mit +/- rund 1.900 Hm

Leistungen/Auszeichnung:
Medaille, Urkunde, Preise für die Schnellsten, auch in den Altersklassen.

Logistik:
Alles unmittelbar im Zielbereich, Transport per Bus zum Start ins Nachbardorf, coronabedingt diesmal nur kalte Duschen.

Verpflegung:
Wasser, Iso, Tee, Salzstangen, Trockenobst, Bananen, Kekse, Wassermelonen u.a.

Zuschauer:
Im wahrsten Sinne des Wortes naturbedingt kaum.
 

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