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15. Kristallmarathon am 26.02.2023 (Fotos tw. von Doris Görgen)


Warm und trocken auch im Winter

„Ihr seid das Salz der Erde!“ So spricht der Herr im Evangelium nach Matthäus 5,13-16. Wenn die Krone der Schöpfung derart verglichen wird, muß es sich bei diesem Würzmittel um etwas ganz Besonderes handeln. Und auch Wertvolles, wie uns schon unser Übernachtungsort Bad Salzungen deutlich macht: Es ist ein altes, ganz offensichtlich wohlhabendes Städtchen, wie aus dem Ei gepellt. Zumindest früher wurde mit dem „weißen Gold“, nämlich Kalisalz als natürliches und effizientes Düngemittel, weniger Speise- bzw. Auftausalz, richtig Geld verdient.

Natürlich hat uns keine Kaufabsicht hierher und ins nahe gelegene Merkers geführt, sondern etwas m.W. weltweit Einmaliges, nämlich die Möglichkeit, in einem Salzbergwerk zu laufen. Kurz hinter der hessischen Landesgrenze wird in Thüringen seit zweieinhalbtausend Jahren Salz gewonnen, schon die Kelten haben damit begonnen. Heute ist der Untergrund auf der Fläche Münchens durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Sagenhafte 4.600 km messen die Gänge insgesamt, die man bisher gegraben und ihres Salzes beraubt hat. Das lockt natürlich nicht nur Arbeitskräfte, sondern mittlerweile auch Besucher in Scharen an. Und selbst Läufer! Seit über dreißig Jahren schon existiert das Erlebnisbergwerk Merkers, das bereits übertage einen imposanten Eindruck vermittelt.
 

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Mit zwölf Personen ist unser Lauftreff angereist. Bevor es zum Schwur kommt, empfangen wir rasch unsere Startnummern. Merkers-Profis fällt sofort die Neuerung ins Auge, denn auch hier gibt es mittlerweile in die Startnummer integrierte Zeitmeßchips, die Zeit der Handgelenktransponder ist Geschichte. Dann gilt es für die Novizen, die Pobacken zusammenzukneifen, denn der Weg nach unten läßt sich nicht weiter verzögern. Der dürfte aber auch keine Angst machen, wenn man sieht, wie das Ganze vonstattengeht. Gut, klaustrophobisch sollte man nicht veranlagt sein, wenn der zweistöckige, käfigartige Aufzug betreten wird. Wie Sardinen stehen wir eng beieinander, als es nur gute zwei Minuten lang 500 m in die Tiefe geht. Unten angekommen, hat uns der Frost sofort verlassen, angenehme 21 Grad empfangen uns.

Über eine längere Stahltreppe kommen wir, noch etwas tiefer, zu einer Schleuse, die wir überwinden müssen, bevor das ganz große Abenteuer beginnt. Nein, noch nicht der Lauf, denn wir müssen erst einmal zu dessen Startbereich kommen. Dazu verfrachtet man jeweils 32 Personen auf die Ladefläche eines offenen Klein-Lkw mit zwei seitlichen Sitzreihen und einer Mittelsitzbank, Sardine 2.0 ist angesagt. Ja, dann geht es im wahrsten Sinne des Wortes holterdipolter durch die Gänge. Rund fünf Minuten dauert die Fahrt, die so mancher als halsbrecherisch empfindet. Ist sie aber nicht, denn die Fahrgeschwindigkeit beträgt maximal 35, meistens unter 20 km/h, und das auch nur abschnittsweise. Lediglich das Gefühl ist ein anderes, Sitznachbarn schätzen 60 bis 70 km/h. Das macht einfach die optische Enge der Gänge aus, die man aber zu Fuß überhaupt nicht empfindet.
 

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Am Rande des sog. Großbunkers, der als tiefster und größter Konzertsaal Europas mit einer außergewöhnlich guten Akustik gilt, werden wir abgesetzt. Uns, den späteren 659 Finishern (750 Anmeldungen waren möglich), bietet er mit seiner Ausdehnung von 250 Metern Länge, 22 Metern Breite und bis zu 17 Metern Höhe ein großzügiges temporäres Zuhause. Im Bunker, in dem 50.000 Tonnen Rohsalz zwischengelagert werden konnten, befindet sich der größte untertägige Schaufelradbagger der Welt. Ein Teil, das natürlich sofort ins Auge sticht, und dessen Imposanz sich nochmals steigert, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der, wie alles andere auch, in Kleinteilen nach unten befördert und hier zusammengebaut wurde. Auf zahlreichen Stuhlreihen findet jeder ein Plätzchen zum Umziehen und als Kleidungsablage. Toiletten sind in ausreichender Menge vorhanden, Umkleidekabinen keine, Duschen ist nur übertage möglich.

Die Moderation läßt keine Frage zum Bergwerk offen, so vergeht die Zeit zum ersten Start wie im Fluge. Der findet um 10 Uhr statt, und zwar für die 10 km-Läufer, denen bei guter Führung die letzten 250 m erlassen werden. Wie kommt’s? Ganz einfach, es ist eine Runde von 3,25 km und 65 m Höhendifferenz, die es eben drei-, sieben- (beim sog. Halbmarathon über 22,75 km) bzw. dreizehnmal (beim Marathon über 42,25 km) abzuwackeln gilt. Die meisten unserer Leute starten über die 9,75 km und genießen die volle Aufmerksamkeit der bereits eingetroffenen (Halb)Marathonläufer. Vorher gibt’s aber noch eine durchaus spektakuläre Lasershow zu bestaunen, die großen Beifall findet. Der Sieger ist nach gut 36 Minuten im Ziel, keine zweieinhalb Minuten später die Siegerin. Unsere Finisher einschließlich der Gattin strahlen über alle verfügbaren Backen.
 

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Was die erlebt haben, werden auch Sebi, Tobi und ich ab 11 Uhr unter den gemeinsam gestarteten Marathon- und Halbmarathonläufern erleben dürfen. Sebi und ich beschließen zusammen zu laufen, der viel schnellere Tobi stürmt voraus. Diesmal hat er sich Großes vorgenommen. Der Gute war letztens in seiner Begeisterung nämlich nicht zu bremsen gewesen und hatte den vermeintlichen Halbmarathon erst nach 26 km beendet. Wie das kam? Nun, es hilft schon mal ungemein, bis drei zählen zu können, bis sieben kann das zur Herausforderung werden. Wenn dem so ist, muß man eben acht Runden laufen. Derart zum Gespött seiner ach so zartfühlenden Laufkameraden geworden, hat er zur Sicherheit sieben Armbändchen zum Abzählen mitgenommen. Vielleicht hätten’s die Finger auch getan, aber sicher ist sicher. Diesmal zeigt er sich nicht nur der Aufgabe des Zählens gewachsen, sondern wird auch in 1:45 Std. eine mehr als respektable Vorstellung über die 22,75 km und 385 HM bieten.

Direkt nach dem Start wird links abgebogen, am VP 1 vorbei. Den lasse ich natürlich noch aus, auch wenn ich in der Folge jede Möglichkeit zum Nachtanken wahrnehmen werde, was bei nur 30 % Luftfeuchtigkeit für mich von großer Bedeutung ist. Direkt empfängt uns eine durchaus veritable Steigung, die gestandene Westerwälder jedoch nicht aus der Ruhe zu bringen vermag. Zwei weitere werden bis zum VP 2 etwa bei Rundenhälfte folgen, auch die werden hochgehoppelt. Hier stoßen wir auf ein Gitter, hinter der wir ab der zweiten Runde die vor- und später auch hinter uns liegenden Läufer bewundern können, weil die Laufstrecken sich begegnen. Selbstverständlich wird die Stelle ordentlich bewacht, damit niemand auf dumme Gedanken kommt, man kennt ja seine Pappenheimer. Mit Hupen, Rasseln, Heavy Metal und Lichtorgeln macht man uns zusätzlich Beine. Manch einer befürchtet, der vorgeschriebene (Fahrrad)Helm würde beim Laufen stören, aber dem ist dem Vernehmen nach keineswegs so, schnell hat man den vergessen. Aber getragen werden muß er, genauso wie eine Lampe (die ich aber kein einziges Mal angemacht habe).
 

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Gegen Ende der Runde ist eine Haarnadelkurve zu nehmen, auch die ist gut bewacht. Und schon ist das Ende nah, also das der ersten 3,25 km. Schade, daß der nett illuminierte Kletterseilgarten mit seinen bunten Buden, künstlichen Palmen und Liegestühlen nicht aufgebaut ist, das war sonst immer ein echter Hingucker. Dann muß es diesmal eben ohne gehen. Bei der Zeitnahme steht eine große Uhr, die zu unserer Zufriedenheit noch keine zwanzig Minuten, das ist unsere Wunsch-Rundenzeit, anzeigt. Hält man die durch, ist der „Halbe“ (22,75 km, 385 HM) in 2:20 Std, geschafft, der ganze Marathon (42,25 km, 780 HM) in 4:20 Std. Den Fans zeigt man die Rundenzeiten und Plazierungen an einer großen Wand hinter der Bühne, so sind die immer aktuell informiert. Natürlich stehen nicht nur unsere Jubler aufgereiht an den Stühlen bis zum Ende des Großbunkers und machen uns Beine.

Vorbei am (diesmal mitgenommenen) ersten VP geht’s wieder die längste Steigung hinauf. Novizen sind unsicher bzgl. der Schuhwahl. Der Boden sieht glatt aus und damit rutschig, ist es aber nicht. Insoweit ist alles möglich zwischen profillos und Trailschuhen. Sogar Barfußlauf ist machbar, wie die beiden beweisen, die ich schon im November auf dem Hockenheimring bewundernd ablichten konnte. Kleidungsmäßig sind bei konstanten 21 Grad kurze Hose und T-Shirt vollkommen ausreichend. Es sei denn, man heißt Robert und läuft traditionell im Ganzkörperkondom, aber so kennt und schätzt man ihn halt. Wir freuen uns über unsere erneute Begegnung. Noch auf der dritten Runde kassiert uns Tobi erstmals. Wie oben erwähnt, ist er heute in einem Affenzahn unterwegs.
 

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Der Großbunker, in dem 50.000 Tonnen Rohsalz zwischengelagert werden konnten, war übrigens schon mal im Fokus der Weltgeschichte gewesen. Nein, nicht wegen Dieter Bohlen und Deutschland sucht das Suppenhuhn, sondern nach der Kapitulation 1945. Hier waren nämlich große Teile des Vermögens der Reichsbank in Form von Raubgold, Bargeld in Reichsmark und Kunstschätzen, darunter Bilder aus der Gemäldegalerie in Berlin und die Büste der Nofretete in gesicherten Räumen des Bergwerks versteckt gewesen. Die hatten am 8. April 1945 amerikanische Truppen entdeckt, weshalb die bekannten US-Generäle Omar N. Bradley und George S. Patton und wenig später auch Dwight D. Eisenhower einfuhren und das Ganze in Augenschein nahmen.

Den Rundenschnitt von zwanzig Minuten halten wir ziemlich exakt ein, trotz der unterwegs einmal eingelegten Pipipause auf der festen Toilette, neben der etliche eingedeckte Tische scheinbarer Hinweis auf eine bevorstehende Hochzeitsfeier o.ä. ist. Interessant sind übrigens auch die ausrangierten Kleinlokomotiven etc., die am Ende der langen Geraden aufgereiht sind. Schade ist nur, daß die nicht wenigstens etwas illuminiert sind, denn dann wirkten sie noch besser. Die wie auch alle anderen gut beleuchteten Runden vier und fünf vergehen, und auf der sechsten kommt uns eine Karawane entgegen auf dem Weg zur erst 1980 entdeckten Kristallgrotte. Diese befindet sich in 807 Meter Teufe und beinhaltet Salzkristalle von bis zu einem Meter Kantenlänge. Dieser geologische Aufschluss wurde als Geotop unter Schutz gestellt. Leider ist es mir bis heute nicht gelungen, sie selber in Augenschein zu nehmen, da es nur eine Führung um 13 Uhr gibt.
 

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Am Ende der siebten Runde biegt Sebi nach 2:18 Std. in den Zielkanal ein, begleitet von einem unbekannten Nachwuchsläufer. Kann der nicht mehr Marathon? Doch, er kann, aber als heute einziger potentieller Marathoner seines Lauftreffs hat er dazu keine Lust, denn zumindest Teile des Rests müßten sonst weitere zweieinhalb Stunden auf ihn warten. So tun es diesmal eben nur sieben Runden, auch wenn an deren Ende der Marathonzähler unverändert bleibt. Eine Soforturkunde sowie die bekannte Fahrmarke als Medaille gibt’s trotzdem. Und das volle Erlebnis bei deutlich besserer Konstitution nach Beendigung des Laufs. Wie gut wir daran getan haben, frühzeitiger aufzubrechen, erkennen wir auf der Rückfahrt. Ist unsere nach 2:45 Std. zu Ende, hängt fast der komplette Rest über vier zusätzliche Stunden in zwei Vollsperrungen auf der Autobahn fest.

Sollte man jetzt also Angst haben, einzufahren, um in unbekannten Gefilden zu laufen? Nein, absolut nicht, der Untertagelauf gehört zu den wirklichen Glanzlichtern aller Laufkalender und darf in keiner Vita fehlen. Dafür ist das Erlebnis von der ersten bis zur letzten Minute einfach zu geil. Der Autor ist mit einmal Sondershausen (leider eingestellt) und dreimal Merkers der lebende Beweis seiner These.

Diesen Bericht gibt es mit mehr Fotos auch auf Marathon4you.de!

Streckenbeschreibung:
3,25 km-Runde mit 65 Höhenmetern.

Startgebühr:
85 € für den Marathon, 65 € und 55 € für den Halben bzw. Zehner.

Weitere Veranstaltungen:
Halbmarathon (22,75 km) und 10 km-Lauf (9,75 km).

Leistungen/Auszeichnung:
(Sofort)Urkunde.

Logistik:
Alles perfekt in und am Großbunker.

Verpflegung:
2 VP mit Wasser, Iso, Cola, Bier, Riegeln, Äpfeln und Bananen.

Zuschauer:
Einige Fans.