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6. Erftstädter Ville-Marathon am 03.10.2020


Mehr als nur ein Trostpflaster 4.0: Im ehemaligen Tagebau

Der Krampf geht unvermindert weiter. Am zweiten Oktoberwochenende bin ich für die Tour die Tirol gemeldet, die ebenfalls der, sagen wir mal, besonderen Situation zum Opfer fällt. Es ist, wie schon so oft gesagt und geschrieben, in jeglicher Hinsicht ein Graus. Alternative? Ein kleiner Marathon im Brühler Schloßpark. Ich lerne (und schäme mich dabei, es zuzugeben), daß es in Brühl ein Schloß gibt, und das offensichtlich der Hammer ist. Und nicht nur eines. Zusammen bilden sie eine Welterbestätte, also etwas ganz Besonderes. Klasse, das hat etwas, schon bin ich angemeldet. Es kommt, wie es kommen mußte: Absage. Allerdings nicht aus dem derzeit üblichen Grund, sondern weil der Schloßpark gesperrt werden mußte. Die Bäume sind am Verdursten, Äste stürzen herab und gefährden die Besucher. Erneute Alternative in akzeptabler Entfernung? Der Erftstädter Ville-Marathon am 3. Oktober. Paßt, denn auch unseren StaffelMarathon, traditionell am 3. Oktober ausgetragen, mußten wir absagen. Ich habe also Zeit.
 

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Der rührige Ralf Löber organisiert diesen Lauf erfreulicherweise neben dem im Brühler Schloßpark ausgetragenen über drei Runden á 14,2 km. Mit Hanne, Andrea und Jürgen bin ich gegen halb Neun vor Ort an einem Parkplatz, auf dem wir uns lauffertig machen und an dem wir zweimal vorbeikommen werden und auftanken können. Als einer der sog. Null-Euro-Läufe wird außer der Streckenmarkierung nichts geboten. Doch, natürlich, die “offizielle” Anerkennung als zählbarer Lauf nach den Regularien des 100 Marathon Clubs. Aufgrund der Länge der Runde hat jeder auch etwas für unterwegs dabei. Ich habe für jede Runde eine große Flasche mit Kohlenhydratgetränk vorbereitet, die beiden restlichen liegen am Auto parat in der Hoffnung, daß zwischendurch niemand daran Interesse entwickelt. Ralf soll die Runde bereits markiert haben, los geht es angeblich an der Mülltonne. Ah, da ist sie und richtig, die Markierung ist bereits angebracht, also kann es losgehen.
 

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Über einen breiten Waldweg - so sollte es grundsätzlich auch bleiben - starten wir fröhlich in die erste Runde. Vereinbart ist nichts, wir bleiben jedoch automatisch und das fast bis ins Ziel zusammen. Kaum gestartet sind wir schon am Wasser, entdecken eine kleine Insel im See, sehr nett. Erst später anhand der Karte erkenne ich, daß es sich hintereinander um drei Seen handelt, den - in der gelaufenen Reihenfolge - Ober-, Mittel- und Untersee. Letzterer ist deutlich der größte der drei. Warum aber so viele Seen, denn weitere werden folgen? Gedanken dazu hatte ich mir im Vorfeld keine gemacht und mir erst später erschlossen, worum es sich bei der Bezeichnung “Ville” handelt. Dieser ist ein - seht es mir bitte nach, Ihr Alpinisten - Höhenzug bis etwas über 200 m über NN. Nichts Wildes also, aber doch recht ausgedehnt. Das vor rund 35 Mio. Jahren herrschende subtropische Klima sorgte hier für die Entstehung großer Torfmoore, aus denen sich im Laufe der Jahre eines der größten Braunkohlevorkommen der Welt bildete. In den Baggerlöchern sammelte sich nach der Ausbeutung Grund- und Oberflächenwasser, eine neue Landschaft entstand. Und diese dürfen wir heute als Naherholungsgebiet des Kölner Raums genießen.

Am Ende des Untersees biegen wir nach links ab und versäumen die Chance, radikal abzukürzen. Wären wir nach rechts abgebogen, hätten wir uns viele km gespart. Nein, Spaß beiseite, erstens geht so etwas gar nicht und zweitens muß man dem Veranstalter, um genau so etwas zu verhindern, nach dem Rennen einen Nachweis der gelaufenen Strecke zukommen lassen. Sonst gibt’s nämlich keine Urkunde und der Marathon zählt nicht. Es folgt die Umrundung des Franziskussees. Glücklicherweise heißt der schon so, denn, wer weiß, in der heutigen Zeit wäre bestimmt jemand auf die Idee gekommen, ihn Mohammedsee zu nennen, um in unserer ach so bunten Gesellschaft ja niemanden zu diskriminieren.
 

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Ein kurzes Stück geht es stramm bergauf, kein Problem für uns. Laut Ausschreibung waren pro Runde etwa 80 Höhenmeter angedroht, ich habe am Ende deren 268 auf dem Tacho. Dann steht die Umrundung des verzweigten Heider Bergsees an, der, wie wir im Laufe der Umrundung feststellen werden, touristisch genutzt wird. Hier hätte man ein zweites Mal prächtig abkürzen können. Wir passieren einen kleinen Hafen und einen Campingplatz. Bei gutem Wetter ist das bestimmt sehr idyllisch, aber heute ist es herbstlich-diesig. Doch wir wollen nicht meckern, denn trotz der Vorhersage reichlichen Wassers von oben - gerade heute Vormittag - bleibt es die ganze Zeit über fast trocken. Es folgt der kleine, schmale Schluchtsee.

“Ah, das sind bestimmt die Waldbreitbacher!” ertönt es plötzlich hinter uns. Ralf, der Organisator, hat uns auf seiner zweiten Runde eingeholt.  Dank intensiver Gespräche vergehen die nächsten km sehr kurzweilig, die jetzige Umgebung werde ich erst auf unserer zweiten Runde wahrnehmen. Fast unbemerkt sind wir wieder am Untersee, dem dritten See vom Anfang, angekommen. Eine zweite knackige, jedoch kurze Steigung ist zu nehmen, dann sind wir am letzten heute zu passierenden See angelangt, der auf den schönen Namen Donatus hört. Das erinnert mich natürlich an meinen Lauffreund Dirk Pretorius, den ich das letzte von vielen Malen in Hachenburg beim Biermarathon getroffen habe.

“Vorsicht hier beim Abstieg!” mahnt Ralf, als ein etwas steiniger Weg zu nehmen ist, aber so etwas gehört in unserer Gegend zum täglich Brot. Woher soll ein vergleichsweiser Flachlandtiroler das wissen? Eine lange Gerade bringt uns zurück zum Parkplatz, von dem aus Ralf die Runde (seine dritte, unsere zweite) umgekehrt zu laufen beabsichtigt. Kurzzeitig spekuliere ich auf eine Begleitung, aber unser eher gemütliches Tempo ist ihm zu langsam und meine Begleiter möchte ich heute nicht verlassen. So drehen wir also unsere zweite Runde um die sieben Seen, denen man durchaus weitere hätte folgen lassen können, nur funktioniert dann das Prinzip der Selbstversorgung am Parkplatz nicht mehr. Nach knappen fünf Stunden haben wir die dritte und letzte Runde hinter uns gebracht und sind mit unserer Entscheidung, hier und heute gelaufen zu sein, hochzufrieden. Jürgen, der eigentlich nur zwei Runden hatte laufen wollen, ist sogar erstmals unter fünf Stunden geblieben, Glückwunsch! Auf der Rückfahrt, kaum auf der Autobahn, öffnen sich die Schleusen des Himmels. Schwein gehabt!
 

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