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2. Hachenburger Biermarathon am 03.08.2019


Hui Wäller? Allemol!

„Wasser, Radler, Alkoholfreies, was magst Du?“ fragt man den südafrikanischen Lauffreund Pieter van der Westhuizen aus Pretoria am zweiten Verpflegungsstand. Sein Gesicht ist ein einziges Fragezeichen. „Bin ich hier falsch? Ich habe mich doch beim Biermarathon angemeldet!“

Ihr ahnt es, ihm konnte geholfen werden. Und nicht nur ihm. Die Brauerei aus Hachenburg inmitten des Westerwalds – lauftechnisch übrigens mitnichten unbekannt (Löwenmarathon) – hatte einiges aufgeboten. Das aber nur, weil sich die regionale Lauflegende Sabine Schneider mit ihrem Mann Reinhold Krämer im letzten Jahr entschlossen hatte, am Beispiel des Beerlovers Marathon in Lüttich (Belgien) etwas auf die Beine zu stellen. Viertel- und Halbmarathon waren im Angebot, nur die Königsstrecke fehlte. Was einmal geht, geht auch zweimal, beschlossen die beiden und nahmen erstmals die 42,195 km mit ins Angebot.

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Gerade mal eine Dreiviertelstunde von mir zuhause entfernt, drängte sich eine Teilnahme in der ohnehin nicht ganz so angebotsstarken Sommerzeit förmlich auf. Scheinbar existiert eine gute Nachbarschaft im Marienstätter Weg, denn Start und Ziel liegen unmittelbar an und in ihrem Wohnhaus. Geparkt wird in einer nahgelegenen Nebenstraße. In der Doppelgarage hat alles Wichtige Platz und bei optimalem Wetter kann der Rest draußen stattfinden. Und es wird alles geboten, was man auch von größeren Laufveranstaltungen kennt, sogar eine Nettozeitnahme, Respekt!  Erst nach meiner Rückkehr von der Laufstrecke realisiere ich die bunten Bänder am Balkon: Sabine hat alle ihre Medaillen an ihm aufgehängt, ein sensationelles Bild. Nicht wenige sind mir von meiner eigenen „Wall of fame“ wohlbekannt.

Zu viert sind wir vom Lauftreff meines Vereins angereist. Andre und die beiden Bernds nehmen den Halbmarathon unter die Füße, müssen aber noch eine Stunde auf ihren Start warten. Wiederum eine halbe Stunde später sind die Viertelmarathoner dran. Bis kurz vor Anmeldeschluß war die Teilnehmerzahl noch sehr überschaubar gewesen, was sich aber erfreulicherweise kurzfristig änderte: So können Sabine und Reinhold 173 Läufer im Ziel begrüßen (viermal so viel wie im Vorjahr!), davon 27 über die Langstrecke. Leider sind die Mädels mit ganzen drei Aktiven über 42,195 km deutlich unterrepräsentiert. Was macht man dagegen? Sekt und Hugo unterwegs anbieten?
 

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Der Geruch des Gerstensafts muß bis nach Frankfurt zu vernehmen gewesen sein, denn ein nicht ganz unbekannter Rekonvaleszent hat die Anfahrt nicht gescheut. Zwar ist er die Krücken seit drei Wochen los, aber Laufen ist noch nicht. So besetzt er später eine Verpflegungsstation, an der er nach Kräften mit gutem Beispiel vorangeht. Und er ist kräftig. Eine große Tasche hat er mitgebracht, in der seine drei Bücher liegen, die den Eigentümer wechseln sollen. „Läufer sind sexy!“, brüllt er den Titel des aktuellen ins Mikrophon. „Man sieht's“, ruft ein unverschämter rheinischer Westerwälder, und hat die Lacher auf seiner Seite.

Schon wenige Meter nach dem Start trifft mich fast der Schlag, denn es geht mächtig bergab. Wenn das symptomatisch fürs Streckenprofil sein sollte, steht uns heute ein netter Tanz bevor. Gerechnet hatte ich mit einem leicht welligen Profil, denn es gibt weit weniger schroffe Anstiege als bei uns im rheinischen Westerwald. Aber sehr schön ist das weitläufige Nistertal von oben anzusehen, keine Frage. Die Nister ist mit unserer Wied gut zu vergleichen, wenn auch nicht so lang: 64 km schlängelt sie sich von Willingen an der Fuchskaute (höchster Berg des Westerwalds) und mündet in die Sieg. Wir könnten es uns schon nach gut einem km munden lassen, aber den ersten VP, acht gibt es insgesamt (manche werden doppelt angelaufen), lassen wir noch im wahrsten Sinne des Wortes links liegen. Erst mal was schaffen!
 

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Wie ein grüner Tunnel wirkt der erste Waldweg, nachdem wir den Asphalt verlassen haben. Ein wohlbekanntes Streckenschild bestätigt mir, daß wir uns auf dem Westerwaldsteig befinden. „Jungs“, sage ich zu meinen derzeitigen Mitläufern, „wenn Ihr hier weiterlauft, kommt Ihr genau bei mir zuhause raus!“. Die sind nicht auf den Mund gefallen: „Wenn wir Dir nicht vom VP am Wendepunkt entgegenkommen, weißt Du, wo wir sind!“ Langsam hole ich etwas auf, denn am Start war ich wegen des Startfotos und des notwendigen Überquerens der Zeitnahme Letzter gewesen. Vor mir entlang eines langen Getreidefeldes sehe ich Norbert Hoffmann, fast 80 Jahre alt, mit beschwingtem Schritt laufen. Selbst so lange so fit zu sein und überhaupt noch laufen zu können, wäre ein Traum. Der Knabe war mit 75 Jahren 100 km-Weltmeister in 9:50 Std. (richtig gelesen, neun fünfzig).
 

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Bald darauf habe ich M4Y-Kollegen Carsten Koczor eingeholt, wir laufen viele km gemeinsam. Vier Marathons fehlen ihm noch zur magischen Zahl 100, wenn ich mir das richtig gemerkt habe. Dat kriechste auch noch hin, Jung! Am nächsten VP nach 3,3 km wird dann zugeschlagen, aber sicherheitshalber noch bleifrei. Ich kann zwar durchaus einiges unterwegs verbrennen, mir aber führerscheintechnisch keinen Fauxpas leisten. Ich biege auf den Marienstatt Rundweg ein und folge der Nister. Wie zuhause an der Wied, prima, so mag ich das. Mit Riesenschritten kommt mir der spätere Sieger, Luis  Arturo Vieyra Buenfil, entgegen. Er wird mit sechzehn Minuten Vorsprung die Nase vorn haben. Auch Gorden Wittayer liegt vor mir, wir waren zusammen im Knast. Also, in Darmstadt, beim Marathon. Und durften beide auf Ehrenwort wieder raus. Mareike Sültz strahlt wie ein Honigkuchenpferd („Beim Malberglauf nächsten Freitag bin ich bei Dir!“) und wird als erste Frau in 3:57 Std. Gesamtvierte werden. Am VP bei km 5 wird gedreht.

Über den idyllisch gelegenen Waldpfad „Klosterspaziergang“ bin ich bald zurück am zweiten VP, danach geht’s zum zum architektonischen Höhepunkt des Laufs, der Abtei Marienstatt. 1212 gegründet, ist sie ein Zisterzienserkloster und Wallfahrtsort vier Kilometer von Hachenburg entfernt direkt an der Nister. Sie umfaßt die Abtei selbst, eine frühgotische Basilika mit der größten Orgel im Westerwald, eine Bibliothek, ein Brauhaus mit Restaurant, eine Buch- und Kunsthandlung, ein Gästehaus und ein Gymnasium in privater Trägerschaft. Ein optisch wirklich herausragendes Ensemble. Zwischen den Gottesdienstbesuchern sehen wir aus, als wollten wir direkt in die Kirche rennen, biegen aber unmittelbar vor dem Eingang ab. Eine Kulturauszeit, wie noch vor kurzem in Weimar, gibt es leider nicht. Die ersten zehn km sind schnell vorbeigegangen.
 

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Wieder an der Nister entlang, komme ich zum zweiten Wendepunkt an km 11,3. „Hui Wäller?“ steht auf den Hachenburger Werbeshirts, das alle Helfer tragen. Er hat sich zum Gruß der Westerwälder (Wäller) Wanderer, eigentlich auch der Einheimischen selbst, entwickelt. Im Jahre des Heils 1913 gewann der Heimatdichter und Bauer Adolf Weiß mit diesem Ausruf aus seinem Gedicht: Das Hui hat mich der Sturmwind gelehrt, wenn wild er über die Heide fährt, und „Wäller“ wir ja „allemol“ sind, wir trotzen dem Regen, dem Schnee und dem Wind ... So, jetzt wißt Ihr auch das. Zurück geht’s nach Marienstatt.
 

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Die schönen km-Schilder, jedes ein Unikat, haben Förderschüler der berufsbildenden Schule Wissen hergestellt. Damit wir keine nassen Füße bekommen, nutzen wir den Fußsteg übers Wasser, Autos die Furt. Der dritte Wendepunkt liegt nach der Nistermühle,  einem heutigen Pferdehof, mit ihrem auch olfaktorisch deutlich wahrnehmbaren Misthaufen, an km 18,5. Herzlich sind sie, die Wäller: Andreas Bünning grüßt freundlich „Wir kommen nochmal wieder!“. Trockene Antwort: „Ich hab's befürchtet.“ Wieder am Pferdehof/Nistermühle vorbei, kommt nach 19,8 km die große Steigung, die wir am Anfang heruntergelaufen waren. 600 m später fällt am damals ersten VP wieder der Frankfurter mit flotten Sprüchen auf.
 

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Nur wenige hundert Meter wären es von hier ins Ziel gewesen, aber das vom-Ziel-wieder-weglaufen-müssen erspart man uns mit einer kleinen, vierten Begegnungsstrecke, die nur die Marathonis auf ihrer ersten Runde zu absolvieren haben. Halbzeit ist nach 2:17 Std. Na ja, der Lack ist halt ab. Zurück beim Joe, denn um den handelt es sich überraschenderweise, tanke ich erstes Blei, schließlich habe ja auch ich den Biermarathon gebucht, nicht nur der Südafrikaner. Karsten Hippe, eingangs der zweiten Runde endlich geknipst, ist eine echte Pappnase. Er läuft, bayrisch kostümiert, mit einem Weizenglas in der Hand, die komplette Strecke ab. Man gönnt sich ja sonst nichts! Fein ist, daß ich jetzt zahlreichen Halbmarathonern begegne, erfreulicherweise sehe ich jeden meiner Lauftreffler.

Sonst gibt es auf der zweiten Runde nichts Neues, dafür aber jede Menge unterschiedliche Getränke, die ich unter Beachtung des Führerscheinerhalts munter durcheinander probiere. Mit der goldenen Marathonregel „Trinke im Wettkampf nichts, was Du nicht im Training probiert hast“, habe ich eh schon lange gebrochen. Uff, die letzte, lange Steigung steht an. Es freut mich wirklich, daß ich die komplett und relativ zügig noch hochzujoggen in der Lage bin. Nach knapp 4:40 Std. ist es dann vollbracht. Es gibt nicht nur einen netten Empfang, sondern sogar eine hübsche Medaille und ein Erinnerungsglas der Brauerei mit Marathonaufkleber.
 

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Was bleibt, ist der Genuß einer kleinen, aber sehr feinen Veranstaltung von Läufern für Läufer, wie ich sie liebe und versuche, selber auszurichten. Schön, daß es Engagierte wie Sabine und Reinhold gibt, die sehr viel Arbeit nicht scheuen, um anderen eine Freude zu machen. Gelungen, Ihr beiden! Im nächsten Jahr werden wir mehr als nur vier Bräpe (Waldbreitbacher) Lauftreffler sein.



Streckenbeschreibung:
Nie langweiliger Landschaftskurs über 21,1 km mit 3 Wendepunkten, beim Marathon zweimal inkl. einer vierten Begegnungsstrecke zu absolvieren.

Startgebühr:
39 €

Weitere Veranstaltungen:
Halb- und Viertelmarathon

Leistungen/Auszeichnung:
8 VP, Medaille, Bierglas, Soforturkunde und zum Herunterladen, Papierfoto vom Start,
Präsent aus der örtlichen Apotheke.

Logistik:
Optimal, nichts zu meckern.

Verpflegung:
Hachenburger Pils, Westerwaldbräu, Weizen, Radler, Radler alkoholfrei, Weizen
alkoholfrei, alkoholfreies Pils, Wasser, Obst, Salzbrezeln.

Zuschauer:
Man kann ja nicht alles erwarten...