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3. Rheinpanorama-Ultramarathon am 22.10.2022


Darum ist es am Rhein so schön

Wenn man auf dem Standpunkt steht, angesichts des riesigen Angebots jeden Marathon grundsätzlich nur einmal zu laufen, nimmt der Aufwand mit den Jahren zu. Denn alles zeitlich Passende in der näheren Umgebung ist abgegrast, der Radius wird zwangsläufig weiter, die Entfernungen zu den Veranstaltungen größer. Irgendwann geht ohne Übernachtung nichts mehr, manchmal sind deren zwei notwendig. Wenn man jetzt noch versucht, einmal monatlich die berühmte Distanz unter die Füße zu nehmen, kann es hin und wieder kompliziert werden. Denn Laufen ist zwar ein wichtiger Teil meines Daseins, aber nicht das Einzige im Leben.

Gerade während der Pandemie waren die von 100MC-Mitgliedern angebotenen sog. Null-Euro-Läufe die Rettung gewesen: Flexibles Startfenster, keine Startgebühr, Versorgung aus dem eigenen Kofferraum, Urkunde und damit Zählbarkeit gegen Laufnachweis. So bin ich schon in manche Ecke gekommen, in der ich ohne diese besondere Situation nicht gelaufen wäre. Nach meinen drei letzten Einsätzen, die gleichermaßen schön wie aufwendig waren, sollte wieder etwas Unkompliziertes her. Und da kam Ralfs Angebot (einige seiner Null-Euro-Läufe habe ich schon wahrgenommen) genau richtig.

Laufen am Wasser ist bekanntermaßen exakt mein Ding, und wenn der Weg komplett am Naß vorbeiführt, gibt’s kein Halten mehr. Was steht also heute auf der Agenda? Ein Kurz-Ultra am Rhein. Von Remagen aus führt der Hinweg nach Bonn, auf der mittleren der drei Bonner Brücken wird der Rhein überquert und auf der Gegenseite bis Erpel zurückgelaufen. Am Ende sollen dann 45,1 km auf dem Tacho stehen. Eine Herausforderung stellt dabei natürlich die Verpflegung unterwegs dar, denn der berühmte Kofferraum steht an Start bzw. Ziel. Also muß alles Erforderliche mitgenommen bzw. an geeigneten Stellen gekauft werden. Ich gehe auf Nummer sicher, habe zweieinhalb Liter Getränke, ein Brötchen und einen dicken Riegel im diesmal recht schweren Rucksack dabei. Das sollte (und wird) reichen.
 

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Einen kostenlosen Parkplatz gibt es unweit der Brückentürme – dazu gleich mehr – und nach zweihundert Fußmetern stehe ich am deutschesten aller Flüsse, das spätere Ziel, nämlich Erpel, in Sichtweite gegenüber. Überragt wird der Ort von der Erpeler Ley, wo seit gefühlten hundert Jahren auf einer 1,575 km-Runde Oster- und Nikolausläufe veranstaltet werden. Glücklicherweise weiß ich, wo Bonn liegt, daher biege ich nach links auf den kombinierten Fuß-/Radweg ab, den ich grundsätzlich nicht mehr verlassen werde. Mit den berühmten Türmen der ehem. Ludendorff-Brücke kommt schon bald der erste Hingucker in Sichtweite. Sie war der erste alliierte Rheinübergang im 2. Weltkrieg und brach am 17. März 1945 infolge von Sprengversuchen der Wehrmacht und Überlastung seitens der Amerikaner ein. Bald darauf erfreut die neugotische Apollinariskirche aus der Mitte des 19. Jhdt. das Auge. Mein Weg läuft weiter parallel zur B9, die hier als „Überflieger“ brückengleich am Rhein entlangführt.

Rechterhand kommt schon bald darauf Unkel in Sicht, das einen gut erhaltenen, historischen Kern besitzt. Bundeskanzler Brandt hatte den Ort zu seinem Altersruhesitz gewählt. Nett ist es in Oberwinter, besonders an dessen Yachthafen, wo man – ähnlich dem sehr viel größeren Koblenzer Oberwerth – eine Rheininsel durch Auflandung zur Halbinsel machte. Kurzzeitig entlang der B9 verlaufend, geht’s bald wieder unmittelbar ans Wasser. Nicht lange dauert es, als rechts die Insel Nonnenwerth erscheint. Hier spielte sich ein Drama ab: Seit dem 12. Jhdt. mit einem Kloster bebaut, wurde dieses 1854 Gymnasium. Ein „findiger“ Investor übernahm dieses 2020 und sorgte zwei Jahre später durch perfide Machenschaften für dessen Ende. Rechts von Nonnenwerth liegt parallel die zweite Insel, Grafenwerth, gegenüber Bad Honnef. Die Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen verläuft hier zwischen den beiden Inseln in der Flußmitte. Kurz vor der Nordspitze Nonnenwerths überschreiten wir auch linksrheinisch die Landesgrenze.
 

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Mit Mehlem erreiche ich bereits Bonner Stadtgebiet, nett ist die Grünfläche, in die auch der Bad Godesberger Kanu-Club integriert ist, dessen eine oder andere Trainingseinheit ich beobachten kann. Das Rheinhotel Dreesen erkenne ich sofort wieder. Es ist wichtiger Bestandteil der vergangenen „Bonner Republik“, hier versammelte sich alles, was Rang und Namen hatte, zum gemeinsamen Feiern. Folgerichtig hatte ich hier kürzlich die Mitgliederehrung meiner Sektion unseres Berufsverbandes stilvoll durchgeführt. Der Weg wird zunehmend grüner, und als ich das Wildgehege sehe, weiß ich, daß ich in der Rheinaue angekommen bin. Bisher war die Laufstrecke Neuland für mich gewesen, ab jetzt kenne ich jeden Meter bis zurück nach Erpel.

Die Rheinaue, eine ehemalige Auenlandschaft, war durch div. Neubauten im Zuge des Aufbaus der Bonner Republik bereits arg dezimiert worden. Die Reste wurden durch die Ausrichtung der Bundesgartenschau 1979 gerettet, seitdem ist sie das Naherholungsgebiet der Bonner Bevölkerung. Und natürlich ein Laufrevier vor dem Herrn, selber trainiere ich hier häufig, habe sogar schon zwei unterschiedliche Marathons absolviert. Insofern nehme ich einige Wege, die Ralf vermutlich nicht vorgesehen hat, ich aber gut kenne und schätze. Mit der Konrad-Adenauer-Brücke naht die erste der drei Bonner Brücken, über sie führt die nur vier km kurze A 562 und mein arbeitstäglicher Weg. Sie war ursprünglich Bestandteil der 1986 aufgegebenen Planung der A 56, die vom Selfkant an der niederländischen Grenze über Jülich, Düren, Euskirchen sowie Bonn nach Waldbröl führen und damit eine südliche Umgehung des Kölner Rings herstellen sollte.
 

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Hinter ihr streife ich das Herz der Bonner Republik: Wasserwerk (Ausweich-Plenarsaal), Plenarsaal, Langer Eugen (Abgeordnetenhochhaus), Palais Schaumburg, Kanzleramt, Villa Hammerschmidt (Bundespräsidialamt). Nett ist es, ungezählte km habe ich hier schon abgespult, auch vorbei am Bundesrechnungshof, Ralfs Arbeitsstelle. Schon lange habe ich sie im Auge: Die Kennedybrücke, sichtbares Zeichen der heutigen Halbzeit. Auf Höhe der Bonner Oper stehen die einzigen spürbaren paar Höhenmeter an. 23 km sind absolviert, als ich die Rheinseite wechsele. Am gegenüberliegenden Ufer strahlt, fest vertäut, das China-Schiff. Die umgebaute ehem. Fähre ist immer einen Besuch wert. Markant ist das seinerzeit an der Vorgängerbrücke angebrachte Brückenmännchen, mit dessen Hintern die Beueler, heute von Bonn eingemeindet, den Bonnern ihre besondere Wertschätzung zum Ausdruck bringen. Schön ist die Flaniermeile auf meinem Weg zur Südbrücke. Hier überquere ich den Rhein bei meiner üblichen Zwei-Brücken-Runde erneut, heute wird sie unterquert.

Den weiteren Weg kenne ich, weil ich irgendwann einmal der (trotzdem sehr schönen) heimischen Trainingsstrecken überdrüssig war und zum Ausgleich abschnittsweise von Bad Hönningen bis zur Siegmündung oberhalb der dritten Bonner Brücke abgelaufen war. Manchmal braucht man eben Abwechslung. Ich befinde mich im sog. Bonner Bogen mit einigen prägnanten Bauwerken: Drei Neubauten sind Schiffen nachempfunden, denen das noble Kameha-Hotel folgt, dahinter die Rohmühle, ein ehem. Zementwerk und heutiges Restaurant mit toller Freiterrasse. Für den Bikini-Beach, eine Strandbar, ist die Saison bereits beendet. Weiter von Oberkassel entlang erreiche ich das Bundeshäuschen, ein Uferrestaurant mit ebenfalls reicher Vergangenheit in der Bonner Republik. Niederdollendorf passiere ich, ebenso die Fähren Niederdollendorf – Bad Godesberg sowie Königswinter – Mehlem.
 

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Im Karneval der Achtziger Jahre besangen die 3 Colonias den nächste Ort, Königswinter: „Es war in Königswinter, nicht davor und nicht dahinter. Es war gleich mittendrin, als ich damals auf dich reingefallen bin.“ Eine hübsche Stadt ist sie, zu Füßen des Drachenfels mit der Talstation der Drachenfelsbahn. Hierher kamen nach dem Krieg gefühlte Millionen Holländer, um Berge zu sehen und sich auf Eseln hochtragen zu lassen. Den Oberdollendorfer Weinhängen (die nördlichsten am Rhein) folgt Rhöndorf, wo „der Alte“ zuhause war. 73 war er, als er das Amt des ersten Kanzlers der neuen Bundesrepublik übernahm, und 86, als man ihn mehr oder weniger sanft aus selbigem beförderte. Interessant ist die (kostenlose) Führung durchs Adenauerhaus sowie seinen Garten. Kurz bin ich versucht, auf die Insel Grafenwerth hinüberzuwechseln. Hier gibt es eine Landverbindung zurück auf den Rad-/Fußweg, der aber manchmal geflutet ist, daher möchte ich dieses Risiko heute vermeiden. Grafenwerth ist übrigens Zielort der Rheinsteig-Extremlaufs sowie Wendepunkt des Insellaufs, dessen Strecke ich bis hierhin gerade weitestgehend abgelaufen bin.

Am Restaurant Anleger 640 (Rheinkilometer) – dort befindet sich auch die Fähre Bad Honnef–Rolandseck - führt ein schmales Wiesenpfädchen zu einem der heutigen Strecken-Höhepunkte, den man kennen muß: Die Rests des ehemaligen Treidel- bzw. Leinpfads, auf dem früher Schiffe flußaufwärts gezogen wurden. Ganz schmal zieht er sich, teilweise wie ein Hohlweg, zwischen einem Zaun und dem steil abfallenden, dicht bewachsenen Ufer, später an netten Schrebergärten entlang. Offiziell ist er „vorübergehend“ wegen Hangabsturzes gesperrt, das aber schon seit Jahren. Es besteht aber keine ernsthafte Gefahr, die Sperrung hat bestimmt versicherungstechnische Gründe. Bald darauf bin ich wieder in sicheren Gefilden, nämlich zurück in Rheinland-Pfalz. Am Campingplatz vorbei ist der Weg wieder sehr nett, weil naturbelassen.

Bald danach bin ich schon an der Rheinfront des historischen Unkels, wo es freundliche und sicherlich nicht ganz preiswerte Häuser zu bewundern gibt. Ich weiß, noch folgt eine lange, lange Linkskurve nach Erpel, aber auch die ist irgendwann mal geschafft. Da mir noch ein paar hundert Meter fehlen und ich diesen kleinen Umweg Ralf empfohlen hatte, biege ich am Ortseingang links ab und laufe durchs Stadttor und die Kölner Straße, der zentralen Straße durch den historischen Ortskern. Am Fähranleger endet das heutige Abenteuer nach fünf Stunden und 45 km. Leider verkehrt die Personenfähre nach Remagen nur jede halbe Stunde, weshalb ich gute zwanzig Minuten warten muß, aber das schaffe ich jetzt auch noch. Zuhause belohnt mich, Herrn Habeck zum Trotz, die heiße Badewanne. Zwar konnte ich ganz in Kurz laufen, aber die für heute versprochenen zehn Sonnenstunden fanden auf zehn Minuten komprimiert statt. Trotzdem war’s schön und wie immer lohnend, am Rhein unterwegs gewesen zu sein.